Page 298 - Haftung für Gefahrguttransporte in Europa : zur außervertraglichen Haftung für Gefahrguttransporte zu Lande, zu Wasser und mit Luftfahrzeugen by
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274 4. Teil: Rechtsvereinheitlichung auf Gemeinschaftsebene
grundsätze, Haftungsbeschränkungen und Beweislastregeln. Wie im jeweiligen
Einzelfall für Schäden durch grenzüberschreitende Transporte gehaftet wird, ist
also kaum kalkulierbar. Jedoch scheinen die Unterschiede der verschiedenen
Rechtsordnungen Europas möglicherweise auf den ersten Blick größer als sie
tatsächlich sind. Ob die Rechtsordnungen zu ähnlichen und vor allen Dingen
befriedigenden Ergebnissen führen, wird im Folgenden durch Vergleich des deut-
schen, französischen und englischen Deliktsrechts untersucht.
Das geltende Recht der drei ausgewählten Rechtsordnungen regelt die Haftung
für die Beförderung gefährlicher Güter außerhalb des Öltransports auf See und
der Nukleartransporte auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Da keine der drei
Rechtsordnungen spezielle Haftungsgrundlagen für Gefahrguttransporte enthält,
kommt jeweils das allgemeine Deliktsrecht zur Anwendung.
Ausgehend von der strengsten Haftungsform – der verschuldensunabhängigen
Haftung – geht das französische Recht am weitesten, da es die Innehabung jed-
weder Sache zum Anlass für die Anknüpfung einer strikten Haftung nimmt. Im
englischen Recht ist die strict liability dagegen die absolute Ausnahme und kommt
im Zusammenhang mit Gefahrguttransporten nur beim Betrieb von Luftfahrzeu-
gen und bei der vicarious liability vor. Das deutsche Recht beschreitet schließlich
einen Mittelweg, indem es mit einer Vielzahl von Gefährdungshaftungstatbestän-
den in verschiedenen Einzelgesetzen operiert, welche besondere Gefahrenquellen
erfassen. Von diesen Tatbeständen ist die Haftung nach § 22 Abs. 2 WHG für die
nachteilige Änderung der Beschaffenheit des Wassers durch eine Anlage – zu
1379 – die umfassendste, da sie
denen auch Gefahrguttransporte gehören können 1
nicht an die spezifische Betriebsgefahr des Transportmittels anknüpft und alle
durch die Beschaffenheitsveränderung verursachten Schäden – auch reine Vermö-
gensschäden, ökologische Schäden, Rettungskosten sowie Brand- und Explosi-
onsschäden – ersetzt, die einem Individuum zugeordnet werden können. Eine
vergleichbare Haftungsnorm, die einen so umfassenden Schutz für Gewässer bie-
tet, findet sich weder im französischen noch im englischen Recht.
Die deutschen Gefährdungshaftungstatbestände für den Betrieb von Kraft-
fahrzeugen, Schienenbahnen und Luftfahrzeugen sind dagegen nur auf die ver-
kehrsspezifischen Gefahren des jeweiligen Transportmittels zugeschnitten. Aller-
dings wurde durch Einführung des § 12 a StVG im Zuge des 2. SchadÄndG 2002
erstmals das zusätzliche Gefahrenpotential von Gefahrguttransporten im Straßen-
verkehr berücksichtigt. Die höheren Haftungshöchstsummen gelten aber nur
dann, wenn sich im Schaden die besondere Gefährlichkeit der Güter realisiert hat.
Die drei Gefährdungshaftungstatbestände (§ 7 StVG, § 1 HaftpflG und
§ 33 LuftVG) sind an die Pflicht geknüpft, eine Versicherung für Schäden Dritter
abzuschließen, und sehen somit auch eine Beschränkung der Haftung durch
Höchstbeträge vor. Diese ökonomische Absicherung sorgt für mehr Schutz der
1379 Siehe 3. Teil A III 1 b).