Page 297 - Haftung für Gefahrguttransporte in Europa : zur außervertraglichen Haftung für Gefahrguttransporte zu Lande, zu Wasser und mit Luftfahrzeugen by
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4.Teil: Rechtsvereinheitlichung auf Gemeinschaftsebene 273
des Anlagestaates und ein mit der Anzahl der Mitgliedstaaten steigender kollekti-
ver Fonds) und die „Protokolle von 2004 zur Änderung des Paris-Brüsseler Haf-
tungssystems“ (bis zu 1.500 Millionen Euro) für ihr jeweiliges Haftungssystem
vor, die allerdings u.a. aufgrund der hohen Voraussetzungen noch nicht in Kraft
getreten sind. Das im Detail sehr komplizierte Wiener Entschädigungsüberein-
kommen von 1997 konkurriert zudem mit dem Brüsseler Zusatzübereinkommen.
Leider steht das Brüsseler Zusatzübereinkommen in der Fassung von 2004 nicht
für die osteuropäischen Vertragsstaaten des Wiener Übereinkommens zum Beitritt
offen. Dadurch wurde die Chance verpasst, ein gesamteuropäisches Zusatzüber-
einkommen zu etablieren.
Schließlich kann auch der Einwand, Staaten ohne eigene Kernanlagen (Nicht-
nuklearstaaten) bedürften keines Atomhaftungsrecht, bei Transporten von Kern-
materialen nicht überzeugen, denn auch Nichtnuklearstaaten können Durchgangs-
länder sein. Überdies bietet die Berücksichtigung von Nichtnuklearstaaten im
räumlichen Anwendungsbereich des Protokolls von 2004 zur Neufassung des
Pariser Übereinkommen nur beschränkten Schutz, da die weitaus höheren Ent-
schädigungsmittel nach dem Brüsseler Zusatzübereinkommen weiterhin dessen
Vertragsstaaten vorbehalten bleiben.
II. Transport anderer gefährlicher Güter – Nachteile der gegenwärtigen Rechtslage
Die Haftung für andere gefährliche Güter als Öl und Nuklearmaterial richtet sich
mangels völkerrechtlicher Übereinkommen ausschließlich nach dem nationalen
Deliktsrecht. Bei internationalen Beförderungen gefährlicher Güter sieht sich der
Rechtsanwender also zunächst mit der Aufgabe konfrontiert, das anzuwendende
Recht nach den Regeln des Internationalen Privatrechts zu ermitteln. Für die Haf-
tung aus Unfällen gilt in der Regel das Recht des Schadensortes; sowohl im deut-
1376 1377 1378 Kollisionsrecht erfolgt die
schen 1 , französischen 1 als auch im englischen 1
Anknüpfung für die Haftung aus unerlaubter Handlung an das Recht des Tatortes
(lex loci delicti commissi). Die potentiell Haftpflichtigen müssen sich also auf eine
Haftung nach dem Recht der verschiedenen möglichen Unfallorte einstellen, denn
der Ort des Schadenseintritts ist stets zufällig. Je nach dem Ort, wo sich das schä-
digende Ereignis ereignet, gelten für die Beteiligten unterschiedliche Haftungs-
1376 Art. 40 Abs. 1 EGBGB. Siehe dazu Junker, Internationales Privatrecht, Rn. 437 f.
1377 Hübner/Constantinesco, Einführung in das französische Recht, S. 272. Für den Bereich der
Verkehrsunfälle gilt in Frankreich zudem das „Haager Übereinkommen über das auf Straßen-
verkehrsunfälle anzuwendende Recht vom 4. Mai 1971“, das aber ebenfalls von dem Grundsatz
ausgeht, dass das Recht desjenigen Staates anzuwenden ist, in dessen Hoheitsgebiet sich der
Unfall ereignet hat, (Art. 3).
1378 Sec. 11 Private International Law (Miscellaneous Provisions) Act 1995.