Page 105 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
P. 105

4
                                                                 99
          4.3  •  Grundrechte und allgemeine Rechtsgrundsätze


          die beste Lösung, die im nationalen Recht auffindbar ist, zum
          Vorbild für das unionsrechtliche Grundrecht zu machen. Da-
          bei berücksichtigt der EuGH jeweils Ziele und Zwecke der
          Verträge.
            Bei konkret unterschiedlichem nationalem Grundrechts-
          schutz bietet es sich an, zur Gewinnung des unionsrechtlichen
          Grundrechts neben den Verfassungen auch andere Erkennt-
          nisquellen einzubeziehen, um eine Rechtsüberzeugung he-
          rauszukristallisieren, wobei der EuGH dabei auf öffentliche
          Erklärungen von Unionsorganen abstellt. Zum anderen hat
          der EuGH die von ihm formulierten Unionsgrundrechte mit
          einem sehr kurz gefassten Vergleich der mitgliedstaatlichen
          Grundrechte und einem weiteren Ansatzpunkt mit Struktur
          und Inhalt versehen. In Nold formuliert er nämlich: „Auch die
          internationalen Verträge über den Schutz der Menschenrechte,
          an deren Abschluss die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder
          denen sie beigetreten sind, können Hinweise geben, die im
          Rahmen des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen sind.“
          Hier sind vor allem die EMRK sowie ihre Zusatzprotokolle
          gemeint (▶ Abschn. 3.2), aber auch der Internationale Pakt
          über bürgerliche und politische Rechte. Anhand der Men-
          schenrechte der EMRK und der Protokolle erkennt der EuGH,
          wie die Mitgliedstaaten der Gemeinschaften die Umrisse der
          Menschenrechte sehen, und zieht daraus Rückschlüsse auf die
          Gemeinschaftsgrundrechte.                        Elemente der Grundrechtsge-
            Noch einmal die Elemente der Gewinnung der Grund-
          -   durch wertende Vergleichung der Verfassungsüberliefe-       winnung
          rechte:
          -   ohne Subtraktion oder Addition der Rechte,
            rungen der Mitgliedstaaten,
          -
          -
              unter Beachtung der Unionsrechtsordnung,
              unter Beachtung der EMRK und ihrer Zusatzprotokolle.

          Grundrechtsschranken: Wie auch bei den Grundrechten des   Wesensgehalt und Verhältnis-
          GG ist im Unionsrecht zu beachten, dass kein Grundrecht        mäßigkeit
          schrankenlos gilt. Der EuGH hat bisher keine eigene Schran-
          kentheorie entwickelt, aus seiner Rechtsprechung ergeben sich
          aber Grundlagen eines Schrankensystems. Eine Grundrechts-
          schranke erlaubt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
          entsprechende Eingriffe in den sachlichen Schutzbereich eines
          Grundrechts zugunsten des Allgemeininteresses oder anderer
          Grundrechtsträger (Nold, Slg. 1974, 491). Der EuGH hat au-
          ßerdem konstatiert, dass die Gewährleistung der Grundrechte
          sich in die Struktur und Ziele der EU einfügen muss (Interna-
          tionale Handelsgesellschaft, Slg. 1970, 1125). Unionsgrund-
          rechte können wie deutsche Grundrechte bei entsprechender
          Rechtfertigung bis zu ihrem Wesensgehalt und soweit eine Ein-
   100   101   102   103   104   105   106   107   108   109   110