Page 114 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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108 Kapitel 4 • Die Europäische Union
zeigte. Dies steht im Widerspruch zu der Tendenz, dem EP
mit jeder Vertragsänderung mehr Zuständigkeiten und Rechte
zu übertragen, d. h. die Lücke zu den nationalen Parlamenten
2 immer mehr zu verringern.
Wahl der Abgeordneten Laut Art. 223 I AEUV erstellt das EP einen Entwurf über
einheitliche Wahlbestimmungen zum EP. Der AEUV sagt
nichts über das Wahlsystem der Wahlen zum Europaparla-
ment aus; es ist nicht festgelegt, ob etwa das Verhältnis- oder
4 das Mehrheitswahlrecht gilt. Bis zur Erstellung einheitlicher
Wahlbestimmungen gilt als Übergangslösung der Direkt-
wahlakt (DWA, ABl. 2002L 283/1; BGBl. 2004 II, 520). Das
Verhältniswahlrecht gilt nach dem DWA auf dem Gebiet der
Union, in Großbritannien wird also nur für die Europawahl
vom dort sonst anwendbaren Mehrheitswahlrecht abgewichen.
Allerdings ist der DWA keine Vollregelung, er lässt den Mit-
gliedstaaten einen weiten Spielraum, beispielsweise kann nach
Art. 3 DWA eine 5 %-Hürde eingeführt werden. In der Bun-
desrepublik ist die Einführung einer Sperrklausel bei Europa-
wahlen verfassungsrechtlich unzulässig (BVerfGE 135, 259 ff.).
Einzelheiten regeln das Gesetz zu den Europawahlen (BGBl.
2013 I, 3749) und die Europawahlordnung (BGBl. 2013 I,
4335), welche sich am Wahlrecht zum Bundestag orientieren,
allerdings können die Parteien Bundes- statt Landeslisten auf-
stellen und wahlberechtigt sind auch Unionsbürger aus ande-
2 ren Mitgliedstaaten, wie sich aus Art. 22 II AEUV ergibt. Die
Wahlperiode beträgt fünf Jahre, Art. 14 III EUV.
Im Parlament haben sich acht überstaatliche parteiorien-
2 tierte Fraktionen gebildet. Bei Abstimmungen kommt es öfter
vor, dass etliche Abgeordnete nicht entsprechend der Meinung
2 ihrer länderübergreifenden Fraktion abstimmen, sondern sich,
ohne Ansehen der Fraktionszugehörigkeit, nach der Auffas-
sung der Regierung ihres Heimatstaates richten. Man kann
2 sich daher des Eindrucks nicht erwehren, dass es – bisweilen
– um Länderinteressen und nicht nur um die Sache geht. Da-
2 mit stellt sich die Frage, ob die nationalen Interessen nicht zu
stark sind, als dass sich das EP zu einem einflussreicheren und
2 geschlosseneren Organ entwickeln könnte. Der Trend zu einer
europäischeren Politik könnte durch die Bildung europäischer
Parteien verstärkt werden, was in Art. 224 AEUV zumindest
2 vorgesehen ist.
Rechtsstellung der Abgeord- Die Rechtsstellung der Abgeordneten wird vom DWA ge-
2 neten regelt. Sie sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden
und genießen entsprechend den für Amtsträger der EU gelten-
den Vorrechten und Befreiungen Immunität (Art. 6 DWA). Ein
2 Doppelmandat in einem nationalen Parlament und dem EP
ist nicht möglich und eine Inkompatibilität besteht auch mit
einem mitgliedstaatlichen Regierungsamt oder einer sonstigen