Page 133 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
P. 133
4
127
4.5 • Organe der Union
den Verfahrensnummer und dem Jahr des Verfahrensbeginns
(etwa: Rechtssache C-210/90, Slg. 1992, I-1234) aufgegeben und
der europäische Rechtsprechungsindentifikator „ECLI“ einge-
führt.
In der Praxissprache der „Europarechtler“ werden die Ur-
teile des EuGH mit einem Stichwort aus dem Fall oder dem
Namen einer Streitpartei bezeichnet. Etwa: van Gend & Loos,
Cassis de Dijon, Frankovich oder Bosman. In Diskussionen
zum Europarecht kann man schon mal hören: „… aber in
Foto-Frost hat der EuGH entschieden, dass …“.
Das Studium von EuGH-Entscheidungen ist deshalb so Richterrecht
wichtig, weil die Urteile dem Unionsrecht mehr Gestalt geben
als das geschriebene Unionsrecht. Maßgebliche Rechtsent-
wicklungen wie etwa die Grundrechte des (damaligen) Ge-
meinschaftsrechts beruhen größtenteils auf Richterrecht des
EuGH, und man wird sie nicht im EUV, AEUV, in Verordnun-
gen oder Richtlinien finden. Auch der aktuelle Rechtsstand
der Grundrechte und Grundfreiheiten ist entscheidend durch
EuGH-Entscheidungen bestimmt und ausgestaltet.
Richter und Generalanwälte
Art. 251 AEUV – Sitzungen; Kammern
Der Gerichtshof tagt in Kammern oder als Große Kammer
entsprechend den hierfür in der Satzung des Gerichtshofs der
Europäischen Union vorgesehenen Regeln.
Wenn die Satzung es vorsieht, kann der Gerichtshof auch als
Plenum tagen.
Grundsätzlich tagt der EuGH in Kammern mit drei oder
fünf Richtern, die Große Kammer ist mit dreizehn Richtern
besetzt, Art. 16 UAbs. 1, 2 S. 1 Satzung EuGH. Im Plenum be-
deutet mit allen Richtern (sog. Vollsitzungen), dies geschieht
selten und nur bei überragend wichtigen Rechtssachen wie
dem Gutachten 2/13 (▶ Abschn. 3.1). Die Plenumssitzun-
gen finden nur auf Antrag eines am Verfahren beteiligten
Mitgliedstaates oder EU-Organs statt. Alle Richter gehören
jeweils einer Dreier- und einer Fünferkammer an. Welche
Kammer für welche Rechtssachen zuständig ist, regelt die
Verfahrensordnung des Gerichtshofes. Bei ihrer Rechtsfin-
dung werden die Richter von elf Generalanwälten unterstützt
(Art. 252 AEUV iVm. Beschluss 2013/336/EU, ABl. 2013L
179/92), die am Verfahren teilnehmen und eigene sog.
Schlussanträge dazu stellen.
Die Generalanwälte sind zwar Bestandteil des Gerichts als Generalanwälte
Institution, nicht aber als Spruchkörper. Sie vertreten nicht
das Interesse der Union. Ein Generalanwalt gibt zu jedem dem
EuGH vorliegenden Rechtsstreit, in völliger Unabhängigkeit