Page 140 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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134 Kapitel 4 • Die Europäische Union
4.6 Suspendierung der Mitgliedschaft
Besondere Bedeutung für die Union als Wertegemeinschaft
2 kommt Art. 7 EUV zu. Nach der Vorschrift können die Mit-
gliedschaftsrechte eines MS bei Verletzung der Grundsätze des
Art. 2 EUV durch die anderen Mitgliedstaaten suspendiert
werden. Der Rat kann einen Mitgliedstaat, bei dem Gefahr
besteht, dass er die Grundsätze des Art. 2 EUV schwerwiegend
4 verletzt, zu einer Stellungnahme auffordern. Danach kann der
Europäische Rat auf Vorschlag eines Drittels der Mitglieder
oder der Kommission, nach Zustimmung des EP und ohne
den betreffenden Mitgliedstaat einstimmig feststellen, dass
eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung der in Art. 2
EUV genannten Werte vorliegt. Nach der Feststellung kann
der Rat mit qualifizierter Mehrheit bestimmte mitgliedstaatli-
che Rechte aus dem Unionsrecht, etwa finanzieller Natur oder
Abstimmungsrechte, suspendieren. Zu beachten hat er die
Auswirkungen seiner Maßnahmen auf Marktteilnehmer der
Union, wie Marktbürger und Firmen. Die Maßnahmen sind
mit qualifizierter Mehrheit modifizierbar oder aufhebbar. Der
Rechtsschutz gegen das Vorgehen nach Art. 7 EUV ist gemäß
Art. 269 AEUV eingeschränkt, da nur die reinen Verfahrens-
vorschriften der Jurisdiktion des EuGH unterliegen.
Kein Anwendungsfall von Art. 7 EUV war der Abbruch
2 der bilateralen Beziehungen von damals 14 MS mit Österreich
nach der Regierungsbeteiligung der FPÖ, die dann später zu
dem berühmten Bericht der „drei Weisen“ führte.
2 Strittig ist, ob Art. 7 EUV abschließend ist oder ob daneben,
z. B. bei einem dauerhaft vertragswidrigem Verhalten eines MS,
2 die völkerrechtlichen Regeln über die Beendigung multilatera-
ler Verträge (Art. 60 II, III, WVK) zur Anwendung kommen.
In Extremfällen, wie dem dauerhaften Abwenden eines MS von
2 den Grundwerten der Union, dürfte das Bestehen der völker-
rechtlichen Beendigungsmöglichkeit zu bejahen sein.
2
2 4.7 Vertragsänderungsverfahren
Zu den grundsätzlichen Bestimmungen gehören ebenfalls die in
2 Art. 48 EUV genannten, das ordentliche und das vereinfachte,
Vertragsänderungsverfahren. Dadurch soll die Handlungsfä-
2 higkeit der EU gestärkt werden, die letzten Vertragsänderun-
gen konnten oftmals nur nach großen Verzögerungen bzw. zum
Teil gar nicht in Kraft treten, da in einzelnen MS zum Teil un-
2 überwindbarer Widerstand gegen die Änderungen vorgebracht
wurde. Dem sollen die neuen Vorschriften entgegenwirken.