Page 253 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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6.10 • Der Rechtsschutz gegen Unionsrecht
Neben diesen Klagemöglichkeiten, die direkt vor dem Ge- Wichtig: Vorabentscheidungs-
richtshof ihren Anfang nehmen, besteht das sog. Vorabent- verfahren
scheidungsverfahren (Art. 267 AEUV). Das 267-Verfahren
ist keine Klagemöglichkeit. Der EuGH wird in einem solchen
Verfahren um Klärung einer Rechtsfrage des Unionsrechts
ersucht. Der Hauptanwendungsfall des Art. 267 AEUV ist
folgender: Ein nationales Gericht setzt ein Verfahren aus (Un-
terbrechung), weil in diesem Verfahren möglicherweise Uni-
onsrecht einschlägig ist und das Gericht sich nicht sicher ist,
ob Unionsrecht anwendbar ist, wie es auszulegen ist, oder ob
etwaiges für das Verfahren anwendbares sekundäres Unions-
recht gültig und rechtmäßig ist.
Ferner gibt es das Gutachtenverfahren des Art. 218 XI Gutachtenverfahren
AEUV. Beim Abschluss von Abkommen mit dritten Staaten
durch die EU kann der EuGH zuerst um ein Gutachten ersucht
werden. Dies ist etwa im Falle des Beitritt der EU zur EMRK
geschehen (Gutachten 2/13, EMRK II).
In Eilfällen kann der EuGH auch einstweilige Anordnun- Einstweilige Anordnung
gen treffen, Art. 279 AEUV. Eine Klageerhebung hat keine
automatische aufschiebende Wirkung, der Gerichtshof kann
jedoch gemäß Art. 278 AEUV eine solche anordnen, wenn dies
im Einzelfall erforderlich erscheint.
Die Tätigkeiten des EuGH sind somit: die Auslegung des
Unionsrechts, die Kontrolle des Handelns der Organe der
Union und der Mitgliedstaaten.
Die Urteile des EuGH, des EuG und die Schlussanträge
der Generalanwälte sind in der „Amtlichen Sammlung der
Entscheidungen des Gerichtshofs“ auffindbar, ab dem Tag der
Urteilsverkündung sind sie im Internet erhältlich.
Grundsätzlich ist wie im deutschen Prozessrecht zwischen Unterscheidung zwischen der
der Zulässigkeit und der Begründetheit einer Klage zu unter- Zulässigkeit und der Begrün-
scheiden. Die verschiedenen Klagemöglichkeiten legen die ein- detheit einer Klage.
zelnen Zulässigkeitsvoraussetzungen fest. Nur eine zulässige
Klage wird vom Gerichtshof noch dahingehend untersucht,
ob ein Rechtsverstoß vorliegt. Für die Fallbearbeitung ist also
immer zweigleisig zu verfahren: Erst die Zulässigkeit prüfen
und danach die Begründetheit untersuchen!
Die Zulässigkeit einer Klage prüft allgemein auch jedes
staatliche Gericht, bevor es den materiellen Teil des Sachver-
haltes bearbeitet. Festzustellen ist, ob die Inanspruchnahme
des Gerichts überhaupt berechtigt ist, ob vielleicht ein anderes
Gericht zuständig ist oder ob vorher noch bei einer Behörde
etwas erreicht werden kann. Das Gericht darf immer nur das
letzte rechtliche Mittel zur Durchsetzung eines Anspruchs
sein.
Der materielle Teil, auch Begründetheit genannt, befasst
sich mit der Frage, ob tatsächlich ein Rechtsverstoß vorliegt.