Page 261 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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          6.10  •  Der Rechtsschutz gegen Unionsrecht


          Mit der Prüfung der genannten Voraussetzungen ist der Zu-
          lässigkeitskomplex einer Klage abgeschlossen.
          -   Klageberechtigung/-befugnis (wer darf klagen?)
            Die Zulässigkeitsvoraussetzungen zusammengefasst:
          -
          -
              richtiger Klagegegner (wen verklagt er?)
          -
              Gegenstand der Klage (weswegen klagt er?)
              Klagefrist (klagt er rechtzeitig?)

          Weiter zur Begründetheit, der materiellen Seite der Klage. Die   Rechtsverletzung des Klägers
          Klage ist begründet, wenn der oder die Beklagten Rechte des
          Klägers durch eine Handlung verletzt haben.
          -   einer Unzuständigkeit des Organs für die Rechtshand-
            Eine Verletzung kann liegen in:
          -   einer Verletzung wesentlicher Formvorschriften,
            lung (z. B.: das Parlament erlässt allein eine Verordnung),
          -
              einer Handlung, die den Verträgen oder einer Durch-
            führungsnorm zuwiderläuft. Das bedeutet, die fragliche
            Rechtshandlung darf nicht gegen eine höherrangige
            EU-Norm verstoßen (z. B. eine Entscheidung nicht gegen
            eine Verordnung, eine Verordnung nicht gegen das Pri-
          -   einem Ermessensmissbrauch eines Organs.
            märrecht),


          Formvorschriften sind solche, die nicht ein materielles Recht   Formvorschriften
          einem Rechtssubjekt zuordnen, sondern die nur etwas Ver-
          fahrenstechnisches regeln. (Ein Beispiel ist die Pflicht der EU-
          Organe, ihre Rechtsakte bei der Veröffentlichung mit einer
          Begründung zu versehen, Art. 296 AEUV.) Wesentlich sind
          die Formvorschriften dann, wenn die Verletzung der Form-
          vorschrift den Inhalt des Rechtsaktes betroffen haben kann.
            Ermessen im Sinne der Vorschrift ist jeder Beurteilungs-,     Ermessen
          Gestaltungs- oder Entscheidungsspielraum, den eine Norm
          einem Organ bezüglich eines Sachverhaltes gibt. Ermessens-
          spielraum hat ein Organ etwa, wenn es bei einem Sachverhalt
          zwischen zwei Rechtsfolgen wählen kann. Ermessensspiel-
          raum hat ein Organ im Unionsrecht auch, wenn es einen un-
          bestimmten Rechtsbegriff, wie etwa „öffentliche Sicherheit“,
          auszulegen hat. Das Ermessen hat aber Grenzen. Außerhalb
          des Ermessensspielraums bewegt sich ein EU-Organ, wenn ab-
          sichtlich ein nach den Verträgen rechtswidriges Ziel verfolgt
          wird oder wenn die Organkompetenzen in schwerwiegender
          Weise für andere Ziele eingesetzt werden als diejenigen, die in
          den Verträgen vorgesehen sind (Lux, Slg. 1984, 2465).
            Ist eine Nichtigkeitsklage zulässig und begründet, so erklärt
          das Gericht die entsprechende rechtswidrige Handlung für (ex
          tunc) nichtig, d. h. rechtlich nicht existent (s. Art. 264 AEUV).
          Die Konsequenz ist, dass alle Beteiligten so verfahren, als hätte
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