Page 266 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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260 Kapitel 6 • Materielles Recht und Rechtsschutz in der EU
Beispiel: Ferngläser nehmen bisweilen seltsame Umwege, bis
sie an den Mann gebracht werden. Die Firma Frost importierte
aus Dänemark und dem Vereinigten Königreich Ferngläser, die
2 in der DDR hergestellt worden waren. Frost meinte, diese Fern-
gläser seien im Rahmen des damals bestehenden begünstigten
innerdeutschen Handels ohne Entrichtung von EU-Abgaben nach
Deutschland einführbar.
Die deutschen Zollbehörden waren anderer Meinung. Das Jus-
tizministerium war nicht sicher, wie die Rechtslage zu beurteilen
sei. Auf Anfrage bei der Kommission entschied diese, die Frost-
Ferngläser fielen nicht unter den innerdeutschen Handel und es
müsste nachträglich eine EU-Einfuhrabgabe erhoben werden.
6 Gegen den daraufhin erlassenen Zollbescheid klagte Frost vor
dem Finanzgericht in Hamburg. Das FG teilte die Auffassung
Frosts. Es war sich aber nicht sicher, ob es nun die Sache dem
EuGH vorlegen sollte oder gar müsste. Schließlich rang sich das
Gericht dazu durch, setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH
u. a. die Frage vor, ob ein nationales Gericht eine Entscheidung
der Kommission auf ihre Gültigkeit hin überprüfen und in seinem
Verfahren gegebenenfalls entgegen der Kommission entscheiden
darf.
Einheitliche Auslegung des Art. 267 AEUV hat in der Praxis des Unionsrechts überra-
Unionsrechts gende Bedeutung im Hinblick auf die Einheitlichkeit des
2 Unionsrechts erlangt. Die einheitliche Auslegung ist die erste
Voraussetzung für die gleiche Anwendung des Rechts und da-
mit letztlich für Rechtssicherheit und Gleichbehandlung der
2 Rechtsunterworfenen.
Ablauf des Verfahrens Der Ablauf des Vorlageverfahrens beginnt damit, dass ein
2 mitgliedstaatliches Gericht (die Parteien des Verfahrens haben
keinen Einfluss auf die Fragen, Fratelli Grassi, Slg. 1972, 443)
dem EuGH eine oder mehrere exakte (Foglia/Novelo II, 1981,
2 3054) Fragen vorlegt, die in einem Verfahren aufgetaucht und
entscheidungserheblich sind. Die Beurteilung der Erforder-
2 lichkeit eines Vorabentscheidungsersuchens bestimmt alleine
das nationale Gericht. Nur wenn die erbetene Auslegung des
2 Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der
Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreit steht,
wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der
2 EuGH nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben
verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm
2 vorgelegten Fragen erforderlich sind (van der Weerd, Slg. 2007,
I-4233, Rn. 22).
Beim EuGH nimmt ein Generalanwalt zu dem Verfahren
2 Stellung und legt dem Gerichtshof eine konkrete rechtliche
Empfehlung zur Beantwortung der Rechtsfrage vor. Danach
erst entscheidet der Gerichtshof. Anschließend führt das