Page 262 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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256  Kapitel 6  •  Materielles Recht und Rechtsschutz in der EU


                                  es den Rechtsakt nie gegeben. Somit bleibt es bei der Rechts-
                                  lage wie vor Erlass des Rechtsaktes.

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                                  6.10.3  Die Untätigkeitsklage


          Subsidiär gegenüber der Nich-  Diese Klageart kommt in Frage, wenn das Parlament, der Eu-
          tigkeitsklage           ropäische Rat, der Rat, die Kommission oder die EZB es pri-
                                  märrechtswidrig unterlassen, einen Beschluss zu fassen. Die
                                  Untätigkeitsklage ist gegenüber der Nichtigkeitsklage subsidiär
                                  (Lütticke, Slg. 1966, 28). Wie bei Art. 263 AEUV wurde der
                                  Kreis der Handelnden um die Einrichtungen und sonstigen
   6                              Stellen der Union erweitert, wenn diese es in rechtswidriger
                                  Weise unterlassen, tätig zu werden.
                                     Wie bei der Schwestervorschrift des Art. 263 AEUV ist
                                  zwischen privilegierten und nichtprivilegierten Klägern zu
                                  unterscheiden. Privilegiert sind die Mitgliedstaaten und die
                                  EU-Organe (Abs. 1), nichtprivilegiert sind natürliche und ju-
                                  ristische Personen (Abs. 3). Sie können nur geltend machen,
                                  dass ein Organ es unterlassen hat, einen anderen Akt als eine
                                  Empfehlung oder eine Stellungnahme an sie zu richten. Dem-
                                  nach ist erforderlich, dass ein Rechtsakt sich unmittelbar und
                                  individuell an die nichtprivilegierten Kläger richtet.
          Erfolglose Aufforderung    Zur Zulässigkeit der Klage ist es weiter erforderlich, dass
   2                              das Organ erfolglos zum Beschluss der Rechtshandlung
                                  (Verkehrspolitik, Slg. 1985, 1592) aufgefordert worden ist,
                                  Abs. 2 Satz 1. Hat das betreffende Organ zwei Monate nach der
   2                              Aufforderung noch nicht Stellung genommen, so ist innerhalb
                                  weiterer zwei Monate eine Klage möglich.
   2                                 Problematisch ist, ob nichtprivilegierte Kläger sich einen
                                  Rechtsakt einklagen können, der gar nicht an sie adressiert
                                  werden würde, sie aber gleichwohl unmittelbar und individuell
   2                              beträfe (FNVP, Slg. 1979, 2429). Das System des Unionrechts-
                                  schutzes, das allen unmittelbar und individuell Betroffenen
   2                              Klagemöglichkeiten gibt, spricht deutlich dafür, eine Klage-
                                  befugnis zu bejahen.
                                     Bei Erfolg der Unterlassungsklage erreicht der Kläger ein
   2      Feststellungsurteil     feststellendes Urteil, dass ein Organ gegen die Verträge versto-
                                  ßen hat. Den beantragten Akt kann das Gericht nicht erlassen.
   2                              Das betreffende Organ hat gem. Art. 266 AEUV die entspre-
                                  chenden Maßnahmen zu ergreifen.
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                                  6.10.4  Die Amtshaftungsklage
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                                  Nicht nur die Kassation (Aufhebung) eines EU-Rechtsakts
                                  oder die Verurteilung der EU zum Tätigwerden können kla-
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