Page 305 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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300 Kapitel 8 • Klausurfall
bb) Verbrauchen der Beihilfe
Effizienzgrundsatz Nach § 48 II 1 VwVfG darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt,
der eine Geldleistung zum Gegenstand hat, nicht mehr zurück-
2 genommen werden, wenn der Begünstigte auf den Bestand des
Bescheides vertraut hat und sein Interesse und sein Vertrauen
unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rück-
nahme schutzwürdig ist. Nach Satz 2 ist das Vertrauen in der Re-
gel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen
verbraucht hat. Die A hat die 8 Mio. DM inzwischen ausgegeben.
In der Regel bedeutet das, dass der gesetzliche Fall nur dann
nicht eintritt, wenn besondere Umstände dagegen sprechen. Bei
gemeinschaftsrechtswidrigen Beihilfen ist zu beachten, dass ein
beihilfebegünstigtes Unternehmen nur dann auf die Ordnungsge-
mäßheit der Beihilfe vertrauen darf, wenn diese unter Beachtung
des in Art. 108 AEUV vorgesehenen Verfahrens gewährt wurde.
Ansonsten würde der Einwand des Wegfalls der Bereicherung
dazu führen, dass die Rückforderung der Beihilfe praktisch un-
8 möglich gemacht würde, was gegen den unionsrechtlichen
Grundsatz des Effizienzgebotes verstoßen würde (Deutsche
Milchkontor, Slg. 1983, 2633). Die Beihilfe wurde jedoch nicht
unter Beachtung des Verfahrens des Art. 108 AEUV gewährt, ein
Vertrauensschutztatbestand liegt somit nicht vor. Demnach muss
die Regelwertung des § 48 II 2 VwVfG europarechtskonform we-
gen des Vorrangs des Unionsrechts so ausgelegt werden, dass ein
2 atypischer Fall gegeben ist und der Beihilfeempfänger sich nicht
auf den Wegfall der Bereicherung berufen kann.
cc) Allgemeine Interessenabwägung
2 Wiederherstellung der uni- Bei Nichteingreifen der Regelwertung des Satz 2 bleibt noch die
onsrechtlichen Wettbewerbs- allgemeine Abwägung des Satz 1 des § 48 II VwVfG vorzunehmen.
2 ordnung als Abwägungskri- Das zu berücksichtigende öffentliche Interesse an der Rücknahme
terium kann zum einen ein fiskalisches Interesse und zum anderen das
2 Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sein. Diese In-
teressen überwiegen das Vertrauensschutzinteresse des Bürgers
im Großteil der zu beurteilenden Fälle nicht. Allerdings wird auch
2 diese Abwägung durch europarechtliche Prinzipien modifiziert.
Bei der Rücknahme von unionsrechtlichen Beihilfen gilt als wei-
2 teres – überragendes – Abwägungskriterium das der Wiederher-
stellung der unionsrechtlichen Wettbewerbsordnung (BUG, Slg.
1990, I-3437). Das Interesse des Bürgers überwiegt dann nur bei
2 Vorliegen besonderer Umstände. Solche sind dem Sachverhalt
nicht zu entnehmen. Folglich ist nach der europarechtskonformen
2 Auslegung des § 48 II 1 VwVfG zu sagen, dass das öffentliche Rück-
nahmeinteresse den Vertrauensschutz der Firma A überwiegt.
2 b) Zwischenergebnis
Nach beiden Ansätzen kann sich die Firma A nicht auf Vertrauens-
schutz berufen, da sie entweder bösgläubig war oder die Voraus-
setzungen des § 48 II 1,2 VwVfG nicht gegeben sind.