Page 99 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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          4.3  •  Grundrechte und allgemeine Rechtsgrundsätze


            In diesem Zusammenhang soll noch auf ein verwandtes   Deutschengrundrechte
          Problem hingewiesen werden. Die Erstreckung des Schutzbe-
          reiches von sog. „Deutschengrundrechten“ wie Art. 12 I GG
          auf Unionsbürger ist aus der Sicht des Unionsrechts nicht er-
          forderlich. Im Anwendungsbereich der Verträge werden die
          Unionsbürger bereits durch die unionsrechtlich gesicherten
          Grundrechte, die denen des GG weitgehend entsprechen, ge-
          schützt. Bei Sachverhalten ohne EU-Bezug greifen die Verträge
          nicht ein und die MS bleiben souverän in ihrer Gestaltung der
          nationalen Rechtsordnung. Somit steht es dem nationalen Ver-
          fassungsgeber frei, den Schutzbereich der Grundrechte zu be-
          schränken. Eine Erstreckung in diesem Bereich würde zwangs-
          läufig zu einer Verdoppelung des Grundrechtsschutzes und der
          prozessualen Verfahren führen, da neben dem EuGH auch das
          BVerfG zuständig wäre. Eine Situation die eher Rechtsun- als
          Rechtssicherheit hervorrufen würde (vgl.  v.  Münch/Kunig-
          Vedder/Lorenzmeier, GG-Kommentar, Band 2, 6. Aufl. 2012,
          Art. 116, Rz. 67d).
            Problematisch ist es auch, wenn das EU-Recht Vorgaben   Verwaltungsverfahren
          für das formelle nationale Recht, das Verwaltungsverfah-
          ren, beinhaltet. Dann ist kaum mehr durchschaubar, welche
          Grundrechte gelten. Daher erscheint es sinnvoll und rich-
          tig, in solchen Fällen EU-Grundrechte anzuwenden. Dafür
          spricht, dass der ganze Bescheid letztendlich vom EU-Recht
          „angeschoben“ wurde (Elleniki Radiofonia, Slg. 1991, I-2925).
          Man kann dies auch damit begründen, dass die Unionsgrund-
          rechte und die Verwaltungsgrundsätze des Unionsrechts ei-
          nen Mindeststandard für die nationalen Rechtsordnungen
          bilden.
            Nach der Eröffnung des Anwendungsbereichs ist das je-  Grundrechte/Grundsätze
          weils einschlägige Grundrecht zu untersuchen, wobei zwi-
          schen Rechten und Grundsätzen zu unterscheiden ist, Art. 51 I
          2 GrCh, zu den letzteren gehören Art. 25, 26 und 37 GrCh. In
          einigen Rechten sind auch Elemente eines Grundsatzes ent-
          halten, so Art. 23, 33 und 34 GrCh. Dies ergibt sich aus den
          Erläuterungen zur GrCh (ABl. EU 2005 C 303, 17 ff.), welche
          zur Interpretation der GrCh heranzuziehen sind, Art. 52 VII
          GrCh (C-283/11, Sky Österreich, Rn. 42). Weitere Interpretati-
          onsregeln, wie die Beachtung der EMRK-Rechte bei entspre-
          chenden Verbürgungen in der GrCh, sind in Art. 52 II– IV
          GrCh aufgeführt.
            Die Grundrechtsberechtigten sind im persönlichen Schutz-  Grundrechtsberechtigte
          bereich des jeweils einschlägigen Grundrechts genannt, wobei
          der Begriff Person neben natürlichen auch juristischen Per-
          sonen umfassen kann, das ist vom jeweiligen Schutzbereich
          abhängig. Der sachliche Schutzbereich umschreibt, welche
          Rechtsgüter von der GrCh geschützt werden.
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