Page 18 - Taschenbuch Michel Grassart, Abbè Pierre die Wahrheit...
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Michel, bald ist es so weit, ich warte nur noch auf gewis-
se Papiere, dann werde ich dich mitnehmen in ein schö-
nes Land, das Schweiz heißt. Am letzten Abend gingen
wir alle in ein Restaurant essen, mir war es nicht geheuer
am Tisch, somit ging ich an die Bar. Dort kümmerte man
sich rührend um mich, eine fremde Person schenkte mir
ein 10-Francs-Stück. Ich wollte mein Glück am Tisch mit
all den Leuten teilen, aber leider wurde mir die Münze
von dem Herrn, der mich in die Schweiz holen wollte,
wieder weggenommen, um das Menü zu bezahlen. Ne-
benbei: Der nächste Tag sollte die Entscheidung bringen.
Wir fuhren zurück in das Slum Noisy le grand. Unterwegs
war da ein riesiges Aufgebot an Flics, Polizisten, die die
Ärmsten der Armen mit Knüppeln und Tränengas behan-
delten, die Bewohner bewarfen die Polizei mit Steinen.
Plötzlich fielen mehrere Schüsse, und gewisse Brüder
und Schwestern wurden vor meinen Augen erschossen.
Es fing richtig an zu brodeln, es war wie im Krieg. Der
fremde Herr sagte nur: Lass uns schnell weiterfahren! Bei
der Fahrt zu Abbé Pierre oder Père Joseph Wresinski
erwähnte er so nebenbei, weißt du, Michel, die Dunkel-
ziffer der Bewohner beläuft sich auf knapp elftausend-
siebenhundert, und täglich strömen weitere Menschen
ins Camp, die einen Unterschlupf suchen. Aber das muss
alles geheim bleiben, das darf niemand wissen. Als wir
dort ankamen, musste ich stundenlang beim Wagen aus-
harren, bis der Vertrag unter Dach und Fach war. Plötz-
lich ein Riesenlärm und ein Fluchen; wenn ich gewusst
hätte, was für ein Mensch du bist, hätte ich dir niemals
diese Kinder anvertraut, denn speziell diese ärmste Fami-
lie aus dem ärmsten Kreis der Armen hat wirklich was
Besseres verdient! Ja, es klingt eigenartig, aber wahr,
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