Page 24 - Taschenbuch Michel Grassart, Abbè Pierre die Wahrheit...
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mit  dem  Zug  und  wurde  nicht  rein  geschmuggelt,  aber
         Hauptsache,  ich war  nicht  mehr  alleine.  Später wurden
         mit  dem  Wissen  der  Behörden  alle  Ausweise  gefälscht,
         denn  es  waren  vermutlich  auch  Politiker  darunter!  Ich
         muss  vieles  mit  „vermutlich“  anführen,  damit  man  mir
         rechtlich keinen Strick daraus drehen kann. Ja, auch mir
         wurde gesagt, dass ich niemandem erzählen durfte, was
         da  ablief,  dass  unsere  Einreise  vermutlich  um  Monate
         oder  Jahre  verschoben  wurde,  vermutlich  mit  der  Hilfe
         von Regierungsbeamten und anderen Beamten aus dem
         Kanton Zürich und dem Bundeshaus Bern. Mit sechs Jah-
         ren hieß es plötzlich: Ab heute dürft ihr euch nicht mehr
         in Französisch unterhalten, sonst seid ihr nicht intelligent
         genug für die angehenden Aufgaben in der Schule. Dafür
         können wir zwei uns in Französisch unterhalten, und ihr
         versteht uns in keiner Weise. Dabei lachten sie wie Erha-
         bene, und so bekamen wir den Segen Gottes zu spüren in
         voller Pracht. Eines Morgens, bei einem Sonntagsbrunch,
         als  ich  ein  Glas  Mineralwasser  trank,  sagte  ich  freude-
         strahlend und ganz sanft zu mir selber: Il pleut dedans. Es
         folgte ein Gelächter, dann fragte mich der Pfarrer: „Mi-
         chel, weißt du, was du eben in Französisch von dir gege-
         ben hast? Ich verneinte. Er sagte: Es sprudelt so schön im
         Innern! Sicher hatte ich es gewusst, aber das war dann
         das letzte Aufbäumen in meinem Innern, es tat meiner
         Seele unsagbar weh, dass ich mich nicht mehr in meiner
         eigenen Sprache unterhalten durfte. Somit schwieg ich –
         bis  zum  heutigen  Tag.  Ich  bettelte  oft  jeden  zweiten
         Sonntag  nach  der  Kirche,  wenn  Besuch  kam,  und  die
         schönen  Frauen  gaben  mir  mindestens  fünf  Franken
         aufwärts, somit kamen oft über hundert, hundertfünfzig
         Franken  zusammen.  Denn  unsere  Gemeinde  war  sehr



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