Page 29 - Taschenbuch Michel Grassart, Abbè Pierre die Wahrheit...
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Niemand im Hause hörte irgendwas, aber mir entging nie
was im Leben. Sobald Gefahr drohte, irgendwelcher Art,
da reagierte ich prompt und schnell. Warte immer noch
auf ein Dankeschön, aber die Blumen zu ernten auf dem
Buckel der Armen im Namen Gottes, bedeutet für mich
nur Scheinheiligkeit und Selbstverherrlichung, wie es
schon früher immer an der Tagesordnung war. Doch wie
ich schon sagte: Ich würde gerne einmal einen Pfarrer
kennenlernen, der die Wahrheit sagt. Das erwähnte ich
auch schon vor meinem Pflegevater, der fand das einfach
nur lustig. Aber von meiner Seite aus war es mir nicht
zum Spaßen zumute. Ich denke, jetzt sind wir mehr als
Quitt; der Pfarrer holte mich aus dem Slum als Sklaven,
und ich rettete Hochwürden zwei Mal das Leben. Ich
warte nur noch, bis er heiliggesprochen wird von der
Kirche oder vom Staat, und da steht Er kurz davor. Aber
bevor die Kirche sich jemals ehrlich entschuldigen oder
bedanken würde, kämen vorher die Kirchenglocken run-
ter! Nur zu hoffen mit ihren zu lauten Dezibels, dass sie
nicht als Ruhestörer verklagt würden. Da gab es noch
eine andere Geschichte. Wieso kam meine Pflegemutter,
als ich zwölf Jahre alt war, zu mir und sagte mir auf spie-
lerische Art und Weise, mein lieber Michel, kannst du
uns bitte helfen? Das französische Konsulat in Zürich
habe mit dem Pfarrer gesprochen, denn sie hätten kei-
nerlei Papiere über mich, und damit sie mir Papiere aus-
stellen könnten, dürfte ich mir das Geburtsdatum selber
auswählen. Laut Konsulat durfte es zwischen Januar und
Dezember sein. Ich liebte den Monat Mai und sagte ihr:
Ich wähle den 15. oder 18. Mai, aber das überlasse ich
euch und dem Konsulat. Das Konsulat stellte mir schluss-
endlich Papiere aus, mit dem Datum 18. Mai. So entstan-
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