Page 18 - Michaels_Buch Februar_neu
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Dann kam ein einschneidendes Erlebnis. Ich war Schüler am Gymnasium Landstuhl und unser
            Schulorchester hatte einen Auftritt in der Aula. Es spielte einige klassische Werke von Beethoven
            und Bach, aber das interessierte mich weniger als die kleine Geigerin in der ersten Reihe. Sie hatte
            lange schwarze Haare und das Gesicht wie eine Madonna. Ich war hin und weg. Die Musik hörte
            ich zwar, aber richtig wahrgenommen habe ich sie nicht. Mich beschäftigte nur ein Gedanke. „Wie
            kann ich dieses göttliche Wesen kennenlernen?“ Und dann kam mir eine glänzende Idee. Ich musste
            in dieses Orchester kommen. Nur so hätte ich vielleicht eine Chance.

            Da es im Orchester nur einen Pianisten gibt und dieser Posten von einem Schüler der Oberklasse
            besetzt war, der natürlich erheblich besser spielte als ich, war da nichts zu machen. Was war zu tun?
            Und dann kam mir plötzlich die Idee: „Ich werde Geige spielen lernen!“ Violinisten gab es doch
            mehrere in einem Orchester und mit etwas Glück konnte ich vielleicht sogar neben ihr sitzen.


            Meinen Eltern erzählte ich natürlich nichts von meinen Plänen, ich schwärmte ihnen nur von
            diesem unglaublichen Konzert vor und dass mich besonders die Violinen beeindruckt hätten. Ich
            wollte jetzt auch Geige spielen lernen.

            Das Leben als Kind, bei dem Vater und Mutter Lehrer sind, hat Vor- und Nachteile. Ich durfte zwar
            keine Comics lesen, aber wenn es darum ging, etwas Zusätzliches zu lernen, standen mir alle Türen
            offen. Innerhalb einer Woche war eine Geige angeschafft und ein Lehrer gefunden. Es konnte mit
            dem Unterricht losgehen. Da ich durch meinen Flöten- und Klavierunterricht bereits recht gut Noten
            lesen konnte, machte ich mir keine großen Gedanken, dass ich nicht in kürzester Zeit ein
            brauchbarer Geiger werden könnte.

            Der Unterricht fand in Landstuhl im Hinterzimmer des einzigen Musikgeschäftes statt. Mein Lehrer
            war ein jähzorniger Mensch ohne jedes pädagogische Geschick. Das wäre alles zu ertragen
            gewesen, denn ich hatte ja mit Herrn Schmalfuss schon einschlägige Erfahrungen gesammelt und
            mein Ziel hatte ich vor jeder Unterrichtseinheit vor Augen, wäre da nicht das Instrument selbst mein
            größter Feind gewesen.


            Im Gegensatz zu Flöte und Klavier hat die Geige zwei besondere Schwierigkeiten zu bieten. Wenn
            man beim Klavier eine Taste anschlägt, kommt immer ein sauberer Ton heraus, vorausgesetzt ein
            Klavierstimmer hat das Instrument entsprechend bearbeitet. Bei der Geige ist das anders. Im
            Gegensatz zu Gitarren haben Geigen keine Bünde, die einem zeigen, wohin man greifen muss, um
            einen sauberen Ton zu erzeugen. Es erfordert sehr viel Übung, das Instrument in den Griff zu
            bekommen.


            Die zweite Schwierigkeit ist die Haltung, die man einnehmen muss, um das Instrument zu spielen.
            Es sieht zwar ganz einfach aus, aber haltet mal Euren Arm so, als ob Ihr eine Geige spielt. Schon
            nach kurzer Zeit fängt der Arm an wehzutun, irgendwann brennt er wie Feuer. Das hört erst auf,
            wenn man täglich übt. Bei mir hat es nie aufgehört.

            Dazu kam, dass mein Lehrer mir ständig den einen Satz gesagt hatte: „Mensch Junge, häng die
            Geige an den Nagel, das wird nichts mit Dir!“ Er sollte Recht behalten, nach einem halben Jahr
            Quälerei gab ich auf und schlug mir die süße Geigerin aus dem Kopf.

            Und dann traf mich ein weiteres tragisches Ereignis. Eines Morgens, als ich meine beiden Hunde
            füttern wollte, lagen sie tot in ihrem Zwinger. Irgendein Hundehasser hatte vergiftetes Fleisch über
            den Zaun geworfen und sie sind unter schrecklichen Schmerzen gestorben. Es hat Monate gedauert,
            bis ich darüber hinweggekommen bin, besonders Heiko hat mir in dieser Zeit sehr gefehlt.
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