Page 20 - Michaels_Buch Februar_neu
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„Yummy Yummy“ von Ohio Express nach zuspielen. Doris sollte nur die Einwürfe der zweiten
            Gitarre machen. Mein Bruder und Günther waren noch nicht da, so dass ich Doris alles in Ruhe
            zeigen konnte. Es waren recht einfache Griffe und sie hat schnell gelernt, sie richtig einzusetzen.
            Dass ich so nah bei ihr stand und dann noch ihr Parfum roch, hat meine Gefühlswelt natürlich total
            durcheinander gebracht und ich hatte Mühe, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren.


            Dann kamen mein Bruder und Günther dazu und wir konnten zu viert eine erste Probe starten. Wir
            haben dieses Stück bestimmt zwei Stunden immer und immer wieder geübt, bis es schließlich saß.


            Am nächsten Tag habe ich Doris mit pochendem Herzen vor dem Bahnhof abgepasst und war total
            erleichtert, als sie mir sagte, wie gut es ihr gestern bei der Probe gefallen hätte. Sie freue sich schon
            auf die nächste Probe und dass ich ihr weitere Songs beibringen möchte.


            Und dann hat das Schicksal mal wieder alles durcheinander gebracht. Seit zwei Tagen hatte es ohne
            Unterbrechung geregnet und der kleine Bach, der durch unser Grundstück floss und im Sommer
            sogar ganz versiegte, war auf einmal zum reißenden Fluss geworden und hatte über Nacht unseren
            gesamten Keller unter Wasser gesetzt. Wir konnten gerade noch unsere Instrumente retten, aber an
            Proben war in den nächsten Wochen überhaupt nicht zu denken. Das war nun im doppelten Sinne
            schlimm, weil wir zum einen nicht üben konnten und zum anderen ich keinen Grund hatte, mich mit
            Doris zu treffen. Nur die gemeinsame morgendliche Fahrt zur Schule war für mich der Höhepunkt
            des Tages.

            Endlich waren alle Hochwasserschäden beseitigt und wir konnten wieder proben. Wir studierten
            alle möglichen aktuellen Hits ein, welche das waren, weiß ich allerdings heute nicht mehr.
            Mittlerweile hatten wir auch einen Namen. Wir hießen „The Electric Sound“. Doris fing jetzt an zu
            singen und wöchentlich wurde sie sowohl an der Hohner-Orgel, als auch gesanglich besser. Die
            Band übte einmal pro Woche, aber Doris und ich trafen uns jeden Nachmittag und studierten neue
            Songs ein. Ich sang zweite Stimme und das hörte sich für uns damals richtig gut an.

            Eines Nachmittags sprach mich unser Pfarrer an, ob ich nicht Lust hätte mit meiner Band einen
            Jazzgottesdienst zu begleiten. Ich war sofort Feuer und Flamme, denn das wäre dann unser erster
            Auftritt vor Publikum gewesen. Jetzt mussten wir nur noch die Gospel-Songs einüben, die der Chor
            singen sollte. Wir waren mit Feuereifer bei der Sache und hatten recht schnell alle Stücke gelernt.
            Dann gab es die erste Probe in der Kirche und die wurde zum Fiasko. In unserem Partykeller hatten
            wir die Wände mit Eierpappe und alten Vorhängen gedämmt, so dass es recht wenig klangliche
            Reflektionen gab. In der Kirche war das ganz anders. Jeder Trommelschlag auf meinem Schlagzeug
            klang wie ein Kanonenschuss. Die Orgel von Doris war nicht zu hören, den Chor konnte man kaum
            erkennen, es war einfach grauenhaft. Der Pfarrer rief immer, wir sollten leiser spielen, aber das war
            bei der Akustik gar nicht möglich. Es knallte und schepperte. Frustriert brach der Herr Pfarrer die
            Probe ab und unser erster Auftritt ging dahin. Er hat uns dann durch einen Akustikgitarristen ersetzt
            und die Jazzmesse wurde ein voller Erfolg.

            Dann war es doch endlich soweit. Der Besitzer des Restaurants - früher hat man dazu Wirtschaft
            gesagt - in das wir öfter zum Essen gingen, hat uns angeboten, in seinem Außenbereich aufzutreten.
            Er gab uns auch einen Termin, der allerdings in den Ferien lag. Uns war das egal, wir wollten nur
            endlich mal vor Publikum spielen. Mittlerweile hatten wir ein Repertoire von fast einer Stunde und
            dachten uns, wenn das nicht reicht, werden wir halt einfach Titel wiederholen.


            Am Tag des Auftritts waren wir natürlich furchtbar aufgeregt. Mama fuhr unser Equipment zum
            Lokal und wir bauten auf. Der Moment rückte immer näher, an dem unser Auftritt beginnen sollte.
            Alles war vorbereitet, wir standen in den Startlöchern, allerdings fehlte uns ein wichtiger
            Bestandteil für einen Auftritt: Publikum! Nur zwei Kellnerinnen und ein kleiner Junge warteten
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