Page 36 - Michaels_Buch Februar_neu
P. 36

Außer meiner Waisenrente, die ich nach Mamas Tod bekam, hatte ich keinerlei Einkünfte und so
            beschloss ich, Klavierunterricht zu geben. Ich setzte eine Anzeige in die Zeitung und in kürzester
            Zeit hatte ich einen kleinen Stamm an Schülern. Das waren in erster Linie Kinder, aber auch zwei
            Erwachsene, die sich einen Jugendtraum erfüllen wollten.


            Eine etwas ältere Dame schloss mich dabei richtig in ihr Herz. Sie wohnte mit ihrem Sohn
            zusammen und lud mich öfter ein, zum Essen zu bleiben. Ihr Sohn hatte im Keller eine kleine
            Hobbytischler-Werkstatt und als er hörte, dass ich noch nie etwas aus Holz gebaut hatte, bot er mir
            an, mich in solchen Arbeiten zu unterrichten. In der Folgezeit fertigten wir alles Mögliche. Ich
            erinnere mich an Lautsprecherboxen für meine Stereoanlage und später sogar an große Mitteltöner
            für eine PA.


            Ich hatte das Gymnasium mit der 12. Klasse abgeschlossen und besaß damit die
            Fachhochschulreife. Ich musste nur ein halbjähriges Praktikum vorweisen, dann konnte ich in
            Hildesheim Sozialpädagogik studieren. Ich fand auch schnell einen Praktikumsplatz in einem
            kleinen Kindergarten in Hannover-Kleefeld. Die Kindertagesstätte war einem Kloster
            angeschlossen und die Oberin fand mich offensichtlich so sympathisch, dass ich direkt starten
            konnte. Wir waren nur zu zweit, eine Erzieherin und ich.


            Die Erzieherin war hochschwanger und erzählte mir, dass sie nur noch 14 Tage da wäre und dann in
            Mutterschutz ginge. Ich sollte bis dahin alles Notwendige lernen, denn eine neue Erzieherin würde
            erst in einem halben Jahr kommen. Jetzt war mir klar, warum die Oberin mich so sympathisch fand.
            Nach zwei Wochen war es soweit, ich leitete ganz allein einen Kindergarten mit 18 Kindern.

            Die Kinder hatten alle sehr wohlhabende Eltern und wurden nur von Kindermädchen oder anderen
            Bediensteten gebracht oder abgeholt. Ich habe in dem halben Jahr nicht einmal eine Mutter oder
            einen Vater gesehen. Da ich was Kindererziehung anbelangt weder Erfahrung noch irgendwelche
            pädagogischen Schulungen hatte, musste ich mir etwas einfallen lassen, um die lieben Kleinen bei
            Laune zu halten.


            Ich begann, mir allerlei Spiele einfallen zu lassen. In erster Linie waren das Wettkämpfe, bei denen
            die Sieger mit Süßigkeiten belohnt wurden. Schnell wurde mir klar, dass da immer die gleichen
            gewannen und ich überdachte mein Konzept noch einmal. Ich erinnerte mich, wie ich mich beim
            Sportunterricht gefühlt hatte und mir kam eine gute Idee. Ich kannte ja nun jedes dieser 18 Kinder
            recht gut und hab ihre Stärken und Schwächen gesehen. Deshalb habe ich neue Spiele erfunden, die
            genau auf die Stärken der Kinder hinzielten, die vorher keine Chance hatten. So erreichte ich, dass
            nach und nach jedes Kind einmal gewann und alle Kinder zufrieden waren.

            Die Kinder schwärmten zu Hause so von ihrer Kindertagesstätte, dass die Oberin schließlich eines
            Tages kam und mich bat, doch noch etwas länger zu bleiben. Da ich aber bereits einen Studienplatz
            hatte, musste ich leider absagen. Der Abschied war dann sehr tränenreich, denn mir waren die
            Kleinen sehr ans Herz gewachsen.

            1976 Obstkistenmöbel
            Mittlerweile hatte ich die Nase gestrichen voll von meiner spartanischen Bude und suchte eine neue
            Wohnung. Ich schaute in der Zeitung nach und ging zu Besichtigungsterminen. Zu der Zeit waren
            bezahlbare Wohnungen Mangelware und es standen Schlangen von Menschen bei den
            Besichtigungen. Ich erlebte eine Pleite nach der anderen.


            Dann hatte ich mal wieder eine gute Idee. Ich ging nicht mehr zu Besichtigungen, sondern rief
            direkt bei den Vermietern an und sagte, ich hätte die Wohnung angeschaut, sie wäre die Richtige
            und ich würde gerne den Mietvertrag unterschreiben. Bei der dritten Wohnung hatte ich Erfolg. Ich
   31   32   33   34   35   36   37   38   39   40   41