Page 56 - Michaels_Buch Februar_neu
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habe und ab morgen selbständig arbeiten könne, war er hocherfreut. Er sagte, ich solle zwei Wochen
            in CD 3 in der Tagschicht arbeiten, und dann mit den anderen dreien in Wechselschicht gehen.

            In den ersten zwei Monaten arbeiteten wir in vier Schichten. Die erste fing um 6 Uhr morgens an
            und ging bis 12 Uhr, die nächste von 12 Uhr bis 18 Uhr, dann kam die Spätschicht bis 24 Uhr und
            die Nachtschicht ging bis 6 Uhr morgens. Gewechselt wurde jede Woche. Das war gar nicht so
            einfach, weil man sich von Woche zu Woche umstellen musste. Mit Uwe und Albert verstand ich
            mich auf Anhieb gut, nur mit Körber wurde ich nicht warm. Das war aber auch nicht nötig, denn als
            er zweimal morgens schlafend erwischt wurde, war das das Aus für ihn.

            Nach zwei Monaten stellte uns Herr Riemer dann mit einem 8 Stunden-Vertrag fest ein und wir
            arbeiteten nur noch in Tag- und Spätschicht.


            Wir waren an die Recording-Abteilung der PolyGram angeschlossen und im achten Stock des
            Hochhauses untergebracht. Zu unserer Abteilung gehörte die Überspielung, in der
            Vinylplattenmaster hergestellt wurden und die Bandkopiererei, die Master für Musikkassetten
            erstellte. Im Stockwerk unter uns befand sich die Technikabteilung. Das waren die Leute, die unser
            Equipment warteten und Neuentwicklungen anschoben. Im sechsten Stock war die Verwaltung.
            Hier war das Büro von Herrn Grimme, unser aller Chef und das Bandarchiv untergebracht.


            Direkt gegenüber unseres Hochhauses war die Kantine. In meiner ersten Zeit gab es dort täglich
            zwei Gerichte zur Auswahl. Man musste sich am Ende einer Woche die Gerichte aussuchen, die
            man in der nächsten Woche essen wollte. Wer dann immer noch Hunger hatte, konnte sich einen
            Nachschlag holen. Man saß auf langen Holzbänken in einer Reihe nebeneinander. Das hat dann
            dazu geführt, dass ich recht schnell ein paar Pfunde zu viel auf den Rippen hatte. Nach dem Essen
            gingen wir meistens in den kleine Kiosk daneben und holten uns noch etwas Süßes. Später wurde
            die Kantine umgebaut und modernisiert. Jetzt gab es einen richtigen Speiseraum mit einzelnen
            Tischen, und man konnte aus einer Reihe von Gerichten auswählen.

            Wenn wir Tagschicht hatten, gingen wir immer mit Herrn Gallerti pünktlich um 12 Uhr in die
            Kantine. Er war ein sogenannter Rillenschneider, der die Master für die Vinylplatten herstellte.
            Außerdem war er der geborene Pessimist und nörgelte an allen rum. Das ging uns zwar manchmal
            auf den Geist, aber wir trauten uns nicht, ihm zu widersprechen.


            In meiner ersten Woche arbeitete ich durchgehend und lieferte immer mehrere fertige Produkte an
            einem Tag ab. Wir machten nicht nur Masterings, die etwas Zeit beanspruchten, sondern auch
            sogenannte Fullchecks, bei denen wir fertige U-Matic Bänder bekamen, die wir abhörten und auf
            Knacker oder Aussetzer überprüften. Dann checkten wir die Anfangs- und Endzeiten und fertig war
            der Fullcheck.


            Nach ein paar Tagen rief Hera mich zu sich. Sie hatte mitbekommen, dass ich sehr viel am Tag
            erledigte und warnte mich. Wenn ich so weiter machen würde, wäre Ärger vorprogrammiert. Auf
            Dauer würden dann die Kollegen genau so viel abliefern müssen, und das wollte nun mal keiner. Ich
            war erstaunt, denn so eine Einstellung war ich nicht gewohnt. Ich änderte meine Arbeitsweise und
            drosselte mein Tempo.

            Zu der Zeit hatte die Musikindustrie noch viel Geld und die Arbeitsmoral war nicht besonders hoch.
            Wenn jemand Geburtstag hatte, lud er nach der Mittagspause in die Küche ein. Dort gab es dann
            Leckereien, Sekt und Wein und es kam öfter vor, dass einige danach gar nicht mehr mit einer neuen
            Arbeit anfingen.


            Da die PolyGram zur Philips-Gruppe gehörte, hatten wir einen Philips Verkaufsshop auf dem
            Gelände. Dort konnte man Philips-Produkte zu reduzierten Preisen kaufen. Auch CDs waren da zu
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