Page 57 - Michaels_Buch Februar_neu
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haben und das zu einem überaus günstigen Preis. Damals kostete eine CD im Laden noch 20 DM.
Wir bekamen aber auch Muster-CDs, die wir mit einem Durchlassschein kostenlos mit hinaus
nehmen konnten.
Das gesamte PolyGram-Gelände war eingezäunt und ein Wachdienst war Tag und Nacht im Einsatz.
Gegenüber dem Gelände war ein großer Parkplatz, von wo aus man mit Hilfe der Stempelkarte
durch ein Drehkreuz gehen musste. Im Hochhaus unten musste man beim Rein- und Rausgehen
stempeln.
Nach zwei Wochen durfte ich meine erste Kopplung machen. Eine Arbeit, die nur für musikalisch
versierte Tontechniker vorgesehen war. Willi verteilte die Arbeit und wir waren ihm direkt
unterstellt. Er hatte schnell erkannt, dass er mir auch kompliziertere Arbeiten geben konnte, und so
erhielt ich von ihm meinen ersten Auftrag für die Kopplung. Gegenüber seinem Büro war ein
kleiner Aufzug, in den wir unsere Aufträge legten. Der fuhr dann ins Archiv, wo die Bänder
herausgesucht wurden. Die Archivare schickten die Bänder nach oben und wir konnten anfangen.
Bei einer Kopplung musste man die einzelnen Songs in der Lautstärke angleichen und sie mit Hilfe
von Equalization klanglich anpassen.
Nach drei Monaten kam Herr Riemer in mein Studio und eröffnete mir, dass er so mit meiner Arbeit
zufrieden wäre, dass ich in eine höhere Gehaltsstufe käme. Ich solle das nur nicht an die große
Glocke hängen. Ich war natürlich höchst erfreut und erzählte es mit großer Genugtuung abends
meiner Frau.
1985 Mit Herbert auf dem Örtchen
An einem Mittwoch im Februar kam Willi und eröffnete mir , dass ich ab jetzt mit Künstlern und
Produzenten zusammenarbeiten dürfe. Am nächsten Tag lernte ich Jimmy Bowien kennen und
arbeitete mit ihm an einem Angelika Milster-Album. Er ist Plattenproduzent, Songwriter und
Komponist und produzierte Musicals wie Cats, das Phantom der Oper und Les Miserables. Die
Zusammenarbeit hat nicht nur funktioniert, weil ich gute Arbeit ablieferte, sondern auch, weil ich
als Musiker die gleiche Sprache sprach. Viele meiner älteren Kollegen, die schon lange in der Firma
waren, arbeiteten genauso gut, aber sie lagen mit Produzenten oder Musikern nicht auf einer
Wellenlänge.
Von jetzt an hatte ich immer mehr Besuch und einige der älteren Kollegen wurden neidisch. Ich
arbeitete mit Peter Wagner am Peter Maffay Album „Sonne in der Nacht“ und machte alle Jazzalben
zusammen mit dem Produzenten von ECM. Er kam morgens mit dem Flieger aus München und
flog abends wieder zurück.
Im März kam wieder einmal Herr Riemer zu mir ins Studio. Er sagte, dass er einen weiteren
Mitarbeiter genehmigt bekommen hätte und ob ich nicht jemanden wüsste, der dafür in Frage kam.
Ich musste nicht groß überlegen und schlug ihm Simon vor. Ich rief ihn an und erzählte ihm von
dem Angebot. Er musste nicht lange überlegen. Gerade war er mit seinem Studium für Lehramt
fertig geworden und stellte sich schon am nächsten Tag vor.
Und dann hatte ich ein lustiges Erlebnis. Gegenüber von unserem Flur war die Recording Abteilung
untergebracht. Dort saßen ausschließlich studierte Tonmeister, die Konzerte in allen großen
Konzertsälen weltweit aufnahmen und diese dann im Unternehmen bearbeiteten. Die Künstler und
Dirigenten gingen bei uns ein und aus. Am Ende unseres Flurs waren die Toiletten. Durch den
vielen Kaffee, den wir während der Arbeit tranken, machte sich immer mal wieder ein Bedürfnis
bemerkbar. Ich stand vor dem Urinal, als die Tür aufging und jemand herein kam. Er stellte sich
neben mich an das zweite Urinal und als ich aufsah fiel mir fast die Kinnlade runter. Neben mir
pinkelte in aller Seelenruhe der große Dirigent Herbert von Karajan.