Page 60 - Michaels_Buch Februar_neu
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Als Andi dann etwas älter wurde und schon allein sitzen konnte, kam ein weiteres Problem. Er
wollte unterhalten werden. Wenn ich ihn auf den Arm nahm und durchs Zimmer ging, schaute er
sich neugierig um und gab keinen Laut von sich. Wenn ich mich aber hinsetzte, fing es sofort
wieder an zu schreien. Das ging so lange bis er neun Monate alt war. Jetzt konnte er krabbeln und
alles selbst untersuchen. Von diesem Moment an war Andi ein ruhiges und sehr liebes Baby.
1988 Musik mal anders
Die PolyGram startete einen weltweiten Know How-Transfer. Um den Siegeszug der CD weiter zu
forcieren, sollten auf der ganzen Welt Firmen CDs herstellen können. Alle Bereiche in der Fabrik
und auch wir in der Tontechnik sollten unser Wissen weitergeben. Herr Riemer übertrug mir diese
Aufgabe.
Ich wurde jetzt aus dem Tagesgeschäft herausgenommen und war nur noch für den Know How-
Transfer zuständig. Herr van der Meer, ein Holländer, der alles koordinierte, war mein
Ansprechpartner. In der Technik hatten wir eine Entwicklungsabteilung, die ständig Verbesserungen
an der Produktion der CD vornahm. Ihr Leiter war Lothar Schmidt. Ben, sein Mitarbeiter, setzte
Herrn Schmidts Ideen um.
Ich begann, eine Anleitung zu schreiben, die alle Arbeiten umfasste, die beim Mastering anfielen.
Dann erstellte ich einen Lehrplan, denn in Kürze sollten die ersten Mitarbeiter aus den anderen
Ländern kommen. Diese Vorbereitungen zogen sich über drei Monate hin. In der Zeit gab es
zahllose Meetings und Arbeitsessen. Besonders die Arbeitsessen waren interessant, denn sie fanden
in einem Nebenraum der Kantine statt, den wir vorher nie registriert hatten. Dort gab es nur zwei
Tische, aber alles war außerordentlich edel eingerichtet. Man brauchte sein Essen nicht aus der
Kantine zu holen, denn eine attraktive Blondine nahm die Bestellungen auf und servierte alles am
Tisch.
Dann war es soweit und ich bekam meine ersten Schüler. Es waren Franzosen, die kein Deutsch,
dafür aber sehr gut englisch sprachen. Wir hatten, was die Kommunikation anbelangte, keine
Probleme. Durch mein Elternhaus war ich ja pädagogisch vorbelastet und aufgrund der langen
Vorbereitungszeit und mit einem ausführlichen Lehrplan sollte einem erfolgreichen Unterricht
nichts im Wege stehen.
Ich habe eine bestimmte Art, wie ich Leuten etwas beibringe. Wenn der Schüler sagt, er habe das
gerade Gehörte verstanden, nehme ich das zur Kenntnis, bin aber nicht sicher, ob es auch stimmt.
Deshalb stelle ich direkt im Anschluss eine Aufgabe, die der Schüler nur lösen kann, wenn er es
wirklich verstanden hat. Sollte er das nicht zu meiner Zufriedenheit tun, erkläre ich ihm den
Sachverhalt erneut und stelle ihm wieder eine Frage dazu. Das geht so lange, bis ich sicher bin, dass
er alles verstanden hat.
Die Franzosen waren zu viert und da gibt es natürlich clevere und weniger clevere Schüler, aber alle
mussten am Ende den kompletten Stoff beherrschen. Den nicht ganz so Cleveren habe ich viel Zeit
gewidmet. Der Unterricht ging über vier Wochen. In den ersten drei Wochen brachte ich ihnen alles
bei, was sie wissen mussten. Für die letzte Woche hatte ich mir eine Art Prüfung ausgedacht. Ich
nahm mir jeden allein vor, während die anderen sich in der Kantine vergnügten. Ich schickte
meinen Schüler aus dem Studio und baute einen Fehler in das Arbeitsprojekt ein, der dazu führen
würde, dass entweder gar nichts funktionierte oder die CD später fehlerhaft war. Dann rief ich den
Schüler rein und gab ihm die Aufgabe. Wenn er sie gelöst hatte, musste er wieder raus und der
nächste Fehler wurde eingebaut. Alle zwei Stunden war ein anderer Schüler dran.
Nach der Woche waren alle vier topfit und als sie ihre Produktion in Paris aufgenommen hatten,
kamen nicht ein einziges Mal Fragen zu irgendwelchen Problemen. Ihr Chef nahm mich kurz vor