Page 68 - Michaels_Buch Februar_neu
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und konnte kein Wort englisch. Ich machte einfach auf Tourist. Der Polizist ließ mich aussteigen
            und verlangte meinen Führerschein. Er sagte, dass ich zu schnell gefahren sei, aber ich stellte mich
            dumm. Ich zeigte ihm meinen Pass mit dem Visum und meinen Führerschein und sagte immer nur
            „Tourist, I German Tourist“. Mit so einer Situation war er wohl noch nie konfrontiert worden und
            ließ mich, nachdem er über Funk um Rat gebeten hatte, einfach weiterfahren.


            Am nächsten Wochenende fuhr ich nach Charlotte und ging durch Straßenschluchten, die von
            Wolkenkratzern umgeben waren. Das kannte ich bis zu dem Zeitpunkt nur aus dem Fernsehen, in
            Wirklichkeit war das aber weitaus beeindruckender.

            Ich sprach außer in der Woche, in der Simon da war, nur englisch. Da ich nichts mehr zu lesen dabei
            hatte, gab mir eine meiner Schülerinnen das Buch Thornbirds. Jetzt las ich zum ersten Mal ein
            englisches Buch. Dazu schaute ich abends auch noch amerikanisches Fernsehen. Nach drei Wochen
            hatte das eine überraschenden Effekt: Ich träumte auf Englisch!

            Und dann kam mein letzter Tag in der Firma. Freitagnachmittag wurde in der Kantine Abschied
            gefeiert und am Samstagmorgen fuhr ich mit meinem Buick zum Airport, gab das Auto ab und flog
            zurück nach Hause. Das Abenteuer war zu Ende und der Alltag hatte mich wieder.


            Simon hatte schon vor einiger Zeit angefangen, mit einem Keyboarder zusammen Tanzmusik zu
            machen. Wenn er mal wieder Auftritte am Wochenende hatte, erzählte er mir am Montag, was er
            alles verdient hätte. Er sagte, das könne ich auch, doch für mich war das indiskutabel. Ich wollte
            mich musikalisch nicht auf so ein Niveau begeben. Doch Simon blieb am Ball und schließlich hatte
            er mich soweit, denn drei Kinder kosteten eine Menge Geld und mein Gehalt und das von Angelika,
            die mittlerweile halbtags im Kindergarten arbeitete, reichte grade mal so.


            Ich schaltete eine Anzeige, in der ich mich als Keyboarder für eine Tanzkapelle anbot. Prompt kam
            ein Anruf von Werner Ritterbecks. Sein Keyboarder hatte gekündigt und er suchte Ersatz. Wir
            vereinbarten einen Termin in seinem Proberaum in der Schulenburger Landstraße. Ich war pünktlich
            da und lernte Werner, die Sängerin Grit und den Drummer Klaus kennen. Werner spielte Bass. Wir
            fingen an etwas rumzujammen. Der Schlagzeuger war eine totale Niete, es groovte nicht und er kam
            ständig aus dem Takt. Werner war ein ganz passabler Bassist, der nichts Spektakuläres machte, aber
            solide spielte. Die Sängerin war nicht schlecht. Zuerst hielt ich mich etwas zurück, doch dann
            spielte ich ein paar Improvisationen und allen fielen fast die Augen aus dem Kopf. Als wir das
            Stück beendet hatten, waren sie aus dem Häuschen. Sie hatten noch nie mit einem Profimusiker
            gespielt und konnten nicht glauben, dass ich bei ihnen einsteigen wolle.


            Der Drummer hatte noch einen wichtigen Termin und verabschiedete sich schnell. Ich blieb mit Grit
            und Werner noch da und sie fragten mich, wie meine Entscheidung ausgefallen sei. Ich kam schnell
            zur Sache und teilte ihnen mit, dass ich mit diesem Drummer nicht spielen konnte und mich deshalb
            nach einer anderen Band umsehen würde. Werner war enttäuscht, akzeptierte das aber. Einen Tag
            später rief er mich an und sagte, Grit und er wollten mich unbedingt haben und wären bereit, den
            Drummer zu ersetzen. Damit war ich einverstanden, weil Werner mir auch noch anstehende
            Auftrittstermine gab und mir mitteilte, welche Gagen gezahlt würden.

            Wir setzten eine Anzeige in die Zeitung, dass wir einen Drummer suchten und wurden schnell mit
            Roland fündig. Er kam aus Uelzen, studierte aber in Hannover und konnte sehr filigran spielen.
            Rolands Spiel war zwar nicht so straight, wie ich es von Fritz und Alf her kannte, er war mehr der
            Jazzschlagzeuger, aber vom Niveau her doch recht professionell. Wir probten nun fast täglich, denn
            ich musste mir über hundert Stücke drauf schaffen. Die Band hieß Tanzkapelle Hannover und setzte
            bereits einen Sequenzer ein, der Streicher und weitere Instrumente übernahm. Da ich der beste
            Musiker in der Band war, wurde ich kurzerhand zum musikalischen Leiter ernannt. Es war natürlich
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