Page 71 - Michaels_Buch Februar_neu
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Als wir aus unserer klimatisierten Kabine kletterten, traf es uns wie eine Keule. Eine enorme Hitze
            gepaart mit sehr hoher Luftfeuchtigkeit war etwas, das ich vorher noch nie erlebt hatte. In kürzester
            Zeit war ich vollkommen durchnässt. Wir fuhren mit einer Taxe zum Hotel und erst in der
            klimatisierten Lobby konnten wir wieder richtig durchatmen.

            Jeder hatte ein sehr elegant eingerichtetes Zimmer und da es bereits Abend war, hatten wir uns zum
            Abendessen im Hotelrestaurant verabredet. Nach dem Essen verschwanden wir schnell auf unseren
            Zimmern, denn wir waren nach dem langen Flug ganz erledigt. Ich schaute noch etwas englisches
            Fernsehen und versuchte dann zu schlafen. Pustekuchen, der Jetlag hatte mich voll erwischt. Die
            Umstellung war so groß, dass ich in der ersten Nacht nicht mehr als ein bis zwei Stunden Schlaf
            bekam.


            Beim Frühstück am nächsten Morgen, sah ich an den übernächtigten Gesichtern der anderen, dass
            es ihnen auch nicht besser ging. Wir waren alle müde, wollten aber nicht schlafen, damit wir die
            Zeitumstellung schnell hinter uns lassen konnten. Wir beschlossen, einen Bummel durch Hongkong
            zu machen. Kalle, den alle Charlie nannten, schlug als erstes Ziel den Bird Market vor und wir
            machten uns auf den Weg. Dort angekommen empfing uns ein Anblick, den ich nie vergessen
            werde. Drinnen und draußen waren Käfige mit Abertausenden von Vögeln. Es gab alle Gattungen
            zu sehen und die Luft war voll mit Gezwitscher und Händlergeschrei. Wir gingen durch die Reihen
            und konnten nicht glauben, dass das Realität war. Ich habe nie wieder so viele Vögel auf einem
            Fleck gesehen, gerochen und gehört.


            Um 18 Uhr waren wir zum Abendessen verabredet. Danach schlief ich direkt ein und bin erst
            wieder morgens um 8 Uhr aufgewacht. Jetzt war ich topfit und konnte alles erst richtig genießen.
            Um 11 Uhr bestiegen wir ein Taxi und fuhren zum Bahnhof.


            Ein Zug brachte uns in einer Stunde nach Shenzhen, wo sich die Fabrik befand. Die Zugfahrt war
            sehr interessant. Wir bekamen ständig neue Eindrücke von Land und Leuten. Ich war froh, dass ich
            eine Videokamera dabei hatte und drehte ohne Unterlass.

            Jetzt waren wir Kapitalisten in einem kommunistischen Land und erwarteten, dass wir in einem
            einfachen Hotel untergebracht wären. Doch weit gefehlt. Eine überaus modisch gekleidete Frau
            holte uns mit einem modernen Van ab und fuhr uns zu einem Hotel, das hierzulande gut und gerne 5
            Sterne erhalten hätte. Ein gläserner Aufzug brachte uns in die achtzehnte Etage, wo wir uns erst
            einmal in unseren Zimmern ausbreiteten.


            Nachmittags ging es dann zum Kennenlernen in die Fabrik. Wieder wurden wir von Tai Li, so hieß
            unsere Fahrerin, dorthin chauffiert. Die Fahrt war gewöhnungsbedürftig, denn unsere attraktive und
            überaus sanfte Chauffeurin wurde im Auto zur Teufelin. Wild hupend fuhr sie mit einem Affenzahn
            auf Kreuzungen zu und hatte auch keinen Respekt vor Fußgängern oder Radfahrern. Die gingen,
            durch das Hupen gewarnt, immer schnell in Deckung. Es schien hier nur eine Verkehrsregel zu
            geben, der Stärkere hat Vorfahrt. Es hat ein paar Tage gedauert, bis ich mich daran gewöhnte.


            Unterwegs sahen wir die verrücktesten Sachen. Wir fuhren an einem Radfahrer vorbei, der ein
            ganzes Schwein in der Mitte geteilt auf seinem Gepäckträger transportierte. Überall wurden
            Hochhäuser gebaut und die Gerüste bestanden aus Bambus. Später hat man uns erzählt, dass bei
            jedem neuen Bau bis zu 20 Männer von den Gerüsten stürzten. Da es aber genug Nachschub gab,
            hat das keinen gestört.
            In der Fabrik angekommen trennten sich unsere Wege. Meine drei Kameraden gingen in die
            Fertigung und ich machte mich auf zur Tontechnik. Dort wurde ich von Elton und Lilly empfangen.
            Das waren meine Schüler. Die beiden hatten sich westliche Namen gegeben, weil sie der Meinung
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