Page 270 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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           Diese Annahme    bleibt  im Pyrrhonismus  Voraussetzung.  Das
        Gregenbild der Erscheinungen, die Dinge an sich, werden gleichfalls
        als bekannte und unanfechtbare Größen eingeführt, und mit nicht
        minder lehrreichen, der peripatetischen und stoischen Terminologie
        entnonunenen Worten   bezeichnet.  Sie  sind  das Unterliegende xa
        uTToxsifisvai),  das  der Natur  nach  cpuost^)  das wahrhaft  Seiende
                                                               die Wirk-
        ovToj? ovra^), das der Wirklichkeit nach xad' üudoraoiv ^),
        Uchkeit  selbst  uTrap^K;^);  sie  sind  das an  sich  xad'  sauttJ^),  sind
        rein, unverfälscht  ^j^iXüi?'),  sJXixptvu)? s).  G-anz besonders  oft werden

        zuständen aussagt, die auf keine Objecte, deren Erscheinungen sie sind, zurück-
        weisen.  Dieser Sinn des  cpaivofxsvov  tritt dann hauptsächlicli in der Kritik der
        Vernunfterkenntnisse auf, bei denen von der Frage nach einem Gegenstand, dessen
        Abbild sie wären, nicht die Rede sein kann, dagegen das Merkmal des unmittel-
        bar oder mittelbar Einleuchtenden eine große Rolle spielt;  so wird z. B. (P. II,
        177) ein Beweis entweder »erscheinend« oder >nicht offenbar« sein müssen  , d. h.
        unmittelbar oder mittelbar begriffen werden (vgl. P. 11, 88—94, 124—129, III, 266).
        Die drei Bedeutungen des  cpatv6[j.evov , welche bei Sextus  oft störend diirchein-
        anderlaufen und besonders dadurch Verwirrung anrichten,  dass  sie sich weder
        ganz zur Deckung bringen, noch ganz von einander trennen lassen, weil ihre
        Sphären sich an einigen Punkten schneiden, werden am besten durch ihre logi-
        schen Gregensätze erläutert: dem  cpatvöfjievov  als erscheinendem Bewusstseinsbild
        eines Objects (auch eines ethischen, religiösen) steht das Ding an sich to uTioxei-
        {xevov und seine Synonyma, dem cpaivöfxevov als oio&Trjxöv das vo6[jLevov oder vo7)t(5v,
        und dem ^atvofxevov als Tcpdhriko^ das oSyjXov oder dcpav^c gegenüber. Die von uns
        an erster Stelle besprochene Anwendung übersieht Pappenheim (Erläuterungen
        zu Sextus Empiricus, Skeptische Grrundzüge, S. 4), Manchmal führt die zwei-
        deutige Terminologie, welche, wie wir später sehen werden, sehr tiefe sachliche
        Gründe hat, zu einer directen Quatemio terminorum — so z. B. P. I, 60, wo die
        Unmöglichkeit des Beweises dadurch dargethan wird, dass der Beweis als cpaiv6-
        {Aevov (= TrpöotjXov) von der Unwahrheit aller  cpaiv6[A£va (= aio^rjTa) mitbetroffen
        wird. — Noch eine Bemerkung zum Sprachgebrauch in dieser Arbeit: wir nehmen
        den Ausdruck >Ding an sich« im Sinne von Ding, Object  als eine unabhängig
        vom Subject existirende Realität,  Der moderne  kritische Realist umgeht  die
        Worte »Ding an sich«, und sagt lieber schlechthin »Ding«, um die Kant 'sehe
        Färbung eines außer Raum und Zeit gelagerten mystischen Etwas zu vermeiden.
        Wir müssen aber, um uns im Rahmen der skeptischen Ausdrucksweise zu halten,
        den Terminus »Ding an sich« für den hier umschriebenen Begriff verwenden.
           1) Der allgemeinste und verbreitetste Ausdruck für  die Dinge an  sich bei
        Sextus.
           2) Auch T^  cpijoet, Ttpö; vip  cpusiv, ooov  ^Tit  t:^  (füosi P. I, 78, 93, 27, 28, 30 u. a.
           3) Diog. IX, 103.     4) Diog. IX, 91.
           ö) P. I, 21, 134.     6) P. 1, 124 u. a.
           7) P. I, 144, gleichbedeutend mit äroXuxuj; (135), äTiXa« (104).
           8) P. I, 127.
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