Page 296 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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      mäßig leicht gewesen wäre, von dem oben angeführten Gedanken aus
      zum kritischen Realismus sich hindurchzuringen und auf diese Weise
      den Skepticismus zu überwinden, so hätte in der Ethik die Analyse
      des »Erstrebenswerthen«,  in ihre Consequenzen weiter verfolgt, die
      kritisch-realistische Auffassungsweise zeitigen können:  absolute  sitt-
      liche Werthe können   etwas Reales  sein,  ohne darum  starre, vom
      Menschen unabhängige Objecte   sein zu brauchen;  sie sind Willens-
      ziele, welche, von principiell einheitlicher Natur,  sich in den indi-
      viduellen Aeußerungen sehr verschieden gestaltet  darstellen.  Denn
      die Relativität der sittlichen Werthe im Einzelnen führt zum mora-
      lischen Skepticismus nur nothwendig unter der starr-realistischen An-
      nahme,  die Werthe seien Objecte,  die sich in der Auffassung der
      Subjecte eben richtig oder falsch spiegeln müssten; das Einzige hier
      für die Entscheidung zur Verfügung stehende Kriterium, nämlich die
      Allgemeingültigkeit,  lässt uns im Stich.  Nimmt man aber an, dass
      die Werthe  in einem subjectiv-geistigen, formalen Princip wurzeln,
      so sprechen  die relativ-gültigen Werthsetzungen im Einzelnen weder
      gegen dessen Existenz, noch gegen  dessen Erkennbarkeit; denn sie
      sind im stände, den absoluten Werth in sich aufzunehmen, und es be-
      steht erkenntniss-theoretisch kein grundsätzliches Hinderniss mehr, das
      absolut WerthvoUe in ihnen zu entdecken.




          Aber die Skepsis ist weit davon entfernt,  sich selbst aufzuheben
      und den Schritt zu einer rein idealistischen  (subjectivistischen) oder
      gar  kritisch-realistischen Moralphilosophie hin zu thun.  Denn wie
      auch  ihre Voraussetzungen  über  das Dasein   absoluter  sittlicher
      Werthe gewesen sein mögen, wie auch dieselben   (in ihren einzelnen
      Vertretern?) zwischen Annahme, Zweifel und Leugnen einer solchen
      Existenz geschwankt haben mögen,   die Hauptthese der skeptischen
      Moralphilosophie, welche niemals geschwankt hat und   welche  sich
      mit  allen  diesen Voraussetzungen  verträgt:  die  grundsätzliche
      Unerkennbarkeit der Werthe ^j, fußt völlig auf naiv-realistischen


          1) Das gleiche Schwanken in der Annahme der Existenz absoluter Werthe
      theilt die kurze Darstellung bei Diogenes ebenso mit derjenigen des Sextus, wie
      die Behauptung der Unerkennbarkeit der Werthe an sich; letztere belegt XI, 101
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