Page 301 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Die erkenntnisstheoretischen Voraussetzungen des griech. Skepticismus. 289
Betonung des Sextus, dass die Erscheinung als Ivap^sc, als Evidenz
gefasst, daranzuerkennen sein, dass sie Allen gleich erscheine i);
dieses Kriterium passt aber ersichtlich nicht auf die sittlichen Er-
scheinungen, deren Verschiedenheit bei Völkern und Individuen dar-
zuthun Sextus wiederholt bemüht gewesen ist. Und so wäre das
ethische cpaiv(J[xsvov von hier aus betrachtet dann gleichfalls als Ab-
spiegelung eines uTioxsifxevov anzusehen. Die andere Möglichkeit:
die positive Erscheinungslehre der Skeptiker auf ethischem Gebiete
so zu deuten, dass unter den sittHchen Erscheinungen nur einleuch-
tende Bewusstseinszustände ohne Relation auf objectiv-reale "Werthe
an sich zu verstehen seien (deren Existenz problematisch bleibt oder
negirt wird), lässt sich aber nicht minder leicht beweisen; am deut-
lichsten vielleicht durch die schon einmal angezogene Stelle P. HI, 235.
Endlich das letzte Kennzeichen an den Wertherscheiaungen , welche
der negative Theil hervortreten ließ, und welche das Zustandekommen
dieser Erscheinungen betrifft, die Passivität derselben, wird gleich-
falls von der positiven Seite aus vollkommen bestätigt. Denn aus-
drücklich wird das Erscheinende als praktisches Kriterium in einen
Und so kommt man, mag die These
»willenlosen Zustand« gesetzt 2).
von der Unerkennbarkeit der Werthe an sich oder von der Erkenn-
barkeit der Wertherscheinungen zum Ausgangspunkt genommen werden,
über die Voraussetzungen der skeptischen Ethik zu den ganz gleichen
Ergebnissen.
Damit wäre die Analyse der pyrrhonischen Ethik für unsere
Zwecke zu Ende geführt. Die erkenntnisstheoretischen Voraus-
setzungen derselben können gleichfalls als naiv-realistische bezeichnet
werden, wenn auch der zu Grunde liegende Realismus kein so un-
eingeschränkter ist, wie der in der Theorie der sinnlichen Wahr-
nehmung vorausgesetzte. Die Hauptverschiebung gegen den in den
1) P. m, 266: hapfda p-ev oüv o'i (['(^exai liha<s%akia, ind täv Seixv'j(X£V(uv
^OTW •/) Ivapyeta. t6 Se Beixvdfjievov ttöoiv iati cpaivdfjievov, t6 Be cpatV(5fievov, t] cpai-
vexat, uäoiv dari X7)-t6v; vgl. auch EU, 254. Math. XI, 240.
2) P. I, 21/22, wo es von dem cpaiv6[xevov als dem xpixfjpiov, (jü -pociyosze^
xaT« Tov ßtov T« |j.ev 7rpaooo[i.ev, xd S'oj, heißt: xpixTjptov toivjv cpafiev eivai rfj; axeTrri-
Tt-rj; d'fmffii tö cpaivöfjieNov, Suvafiiet tP)V ^ayraoiav oitoü outoj xaXoüvTe;* h rreioei fap
•xal dßouXTiTtp Tidöet xetfilvT] äCifjXTfjTo« doxtv.
W u n d t , PhUos. Studien. XX. 19