Page 305 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Die erkenntnisstheoretischen Voraussetzungen des griech. Skepticismus. 293
und Selbstüberwindung dieser eigenthümlichen Zweifelslehre gegeben
—
wäre.
V.
Wir kommen zum Schluss dieser Untersuchung, welcher unab-
hängig von allen Belegstellen, die in den Werken des Sextus den
naiven ReaHsmus verrathen, aus weiterer Entfernung und freierer
Umgebung auf die erkenntnisstheoretischen Voraussetzungen der pyr-
rhonischen Philosophie zurückblicken möchte. Ueberschaut man nämlich
die skeptischen G-edankenreihen als Ganzes, so staunt man, dass diese
scharfsinnigen Männer in Erkenntnisstheorie und Ethik sich oft so
nahe an der Grenze fruchtbarer Entdeckungen bewegen, ohne doch
je den entscheidenden Schritt zur Eröffnung neuer Bahnen gethan
zu haben. In der Theorie der siunHchen Wahrnehmung weisen sie
mit einer Ausfühi'Hchkeit auf den Antheil des Subjects an der Bil-
dung der Vorstellungen hin, wie es im Alterthum nie zuvor geschehen
war; und doch streifen sie an keiner Stelle den Gedanken, dass die
subjectiven Zuthaten den Inhalt der Vorstellungen erschöpfen könnten,
und dass, wenn man die Existenz unabhängig vom Subject bestehen-
der Dinge fallen Heße, auch alle Gründe des Zweifels an dieser Er-
kenntnissart mit hinwegfielen (extremer IdeaHsmus). Sie werfen die
Frage auf, ob nicht weniger Eigenschaften, als wir an den Dingen
wahrnehmen, und nui' gewisse von den wahi-genommenen den Dingen
selbst zukommen könnten; aber sie finden die Kraft nicht, die Eigen-
schaften daraufhin zu untersuchen und durch eine nach logischen
Gesichtspunkten vollzogene Trennung derselben in objective und sub-
jective einen zweiten Ausweg aus den skeptischen Folgerungen zu
eröffnen (kritischer ReaHsmus). Dass dagegen die noch ausstehende
dritte Möghchkeit, innerhalb der subjectiven Bewusstseinswelt allge-
meingültige und zufällige Elemente zu sondern und auf letztere als
Bedingungen aller Erfahrung ihre Gültigkeit füi* Erfahrung und damit
ihre »Wahi-heit« zu giünden, nicht von den Skeptikern entdeckt
wurde, wird bei der Fremdheit, welche dieser Standpunkt für die
gesammte Antike haben musste. Niemanden Wunder nehmen (kri-
tischer Idealismus Kant's). Und ähnhches gilt für die Ethik. Hier
bezweifeln die Skeptiker bereits die Existenz an sich und unabhängig
vom wollenden Subject bestehender Werthe auf Grund der Relativität