Page 573 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.
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eines Umfanges des rhythmischen Bewusstseins
empfehlen,
wobei man sich freiHch immer gegenwärtig halten muss, dass auch
dieser Umfang des successiv aufgelösten Rhythmus für seine schheß-
liche Erklärung unmittelbar auf jene allgemeine Constante des Umfangs
der maximalen Klarheit zurückweist, aus welcher auch die Auffassung
mehrerer geläufiger optischer Complexe herzuleiten
ist.
9) Vertheidigung der von Wundt vorausgesetzten Mög-
lichkeit der simultanen G-esammtvorstellung aus succes-
siven Wahrnehmungen.
Ich habe nun den Zusammenhäng dieser
Betrachtungen nicht durch ein näheres Eingehen auf einen princi-
piellen Einwand unterbrechen wollen, der gegen Wundt hinsichtlich
der wichtigsten Voraussetzung erhoben worden ist, welche all diesen
Ueberlegungen zu Grunde liegt.
Der Einwand, den ich hier in eigenen Worten kurz wiedergebe,
fußt auf der Anschauung, dass die simultane Gesammtvorstellung,
welche aus der in der Zeit verlaufenden Tactreihe gewonnen wurde,
überhaupt nicht existire^). Dass die Vergleichsreihe bis zu einem
bestimmten Tactschlag verlaufen müsse, um der ersten zu entsprechen,
werde nicht durch einen Vergleich mit einer simultan vorschwebenden
Gesammtvorstellung festgestellt, sondern mehr indirect erschlossen,
und zwar auf Grund einer besonderen Leistung der frischen, an sich
unbewussten Gedächtnissspuren, welche ein Gefühl der Erwartung,
immer mehr Tacte zu hören, solange erhalten lässt, bis das letzte
hinzugehörige Element der Vergleichsreilie vorbei ist. Je nach dem
thatsächlichen richtigen Abschluss oder der Fortsetzung der Reihe
erlebe man ein Gefühl der Erfüllung, bzw. der Enttäuschung. Außer
dem Gefühl und dem jeweils eben gehörten Tactschlag brauche dann
zu dem gewünschten Erfolge nichts weiter gleichzeitig im Bewusstsein
gegeben zu sein. Wundt ist diesem Einwände, mit dessen Richtig-
keit natürlich auch alle Ausführungen dieses Abschnittes hinfällig
würden, bereits selbst seinerzeit ausführlich begegnet 2), so dass ich
mich hier unter gleichzeitigem Hinweis auf diese Darlegungen kurz
fassen kann.
Zunächst scheint ja allerdings eine uneliminii'bare metliodische
1) F. Schumann, Zeitschr. f. Psychol. u. Physiol. d. Sinnesorgane I, S. 76,
n, S. 115. 2) S. S. 539.
Wundt, PhUos. Studien. XX. B6