Page 575 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.
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     zur  letzten beschrieben werden kann.  Letzteres wird  ja natürlich
    ,auch hierbei zutreffen, aber es ist doch bloß  eine Voraussetzung
     für  das  hierzu nothwendige Bewusstsein   der Zusammenfassung
     einer in  allen  Theilen bekannt erscheinenden Gesammtvorstellung.
     Nur durch   dieses thatsächlich  erlebte Bewusstsein der Zusammen-
     fassung werden weiterhin auch  die Dispositionen zur Reproduction
     Yon vorne herein so beeinflusst, wie es eine einfache gegenseitige Ab-
     lösung der Einzelelemente im Bewusstsein ohne jene simultane Be-
     zugnahme  nicht vermocht hätte.  Der weitere Blick der hier  ver-
     tretenen Anschauung zeigt  sich also darin,  dass  sie nicht nur  die
     thatsächlich vorhandenen Gefühle, sondern auch deren bewusste
     Vorstellungsbasis berücksichtigt.
        Es wäre natürlich auch völHg ausgeschlossen, die letztere Gesammt-
     vorstellung etwa dadm-ch zu ersetzen, dass man immer bloß das Er-
     innerungsbild an den einzelnen entsprechenden Tactschlag aufsteigen
     ließe, bis die richtige Anzahl vorbei  ist, sodass hieraus eine richtige
     Abschätzung der Vergleichsreihe  entstände.  Büerdurch  könnte  ja
     kein unmittelbares Gefühl  der Erwartung  u.  s. w.  erklärt  werden,
     sondern nur  die  jeweils immer neu auftauchende Frage, ob denn
     beim nächsten Schlage diese innere Begleitung noch stattfinden würde
     oder nicht, ein derartig mittelbares Verfahren, wie  es natürlich in
     dem thatsächhchen Erlebniss nicht entfernt anzutreffen  ist.  Femer
     sind wir aber auch genöthigt, die Vorstellungsgrundlage für das Ver-
     gleichsurtheil und irgend welche Gefühle der Spannung u. s. w. that-
     sächlich  als eine simultane anzusehen.  Es  ist beim Anhören  der
     Vergleichsreihe in keinem Moment sozusagen das Bewusstsein einer
     rückläufigen Bewegung vorhanden, als ob man sich der bestimmten
     Lage des neuen Elementes in der ganzen Reihe immer     erst durch
     ein möglichst rasches Durchlaufen  vergangener Elemente   bewusst
     werden  müsste.  Man   geht nur  mit  der  Tactreihe  selbst  weiter,
     während  alles Vergangene entweder simultan oder überhaupt nicht
     mehr für uns da  ist.  Dies  ist ja auch vom Gegner gar nicht be-
     stritten worden, der eben gerade  jenes  sichere  Fortschreiten, aber
     nur  eben  ohne  Zuhilfenahme  einer  Gesammtvorstellung  erklären
     wollte.
        Endlich können auch nicht etwa secundäi-e Vorstellungsmerkmale,
     wie Qualitätsunterschiede der Einzelelemente der Reihenvorstellung
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