Page 574 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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562                        Wilhelm Wirth.

       Schwierigkeit für unsere Frage deshalb vorhanden zu sein, weil  die
       Elemente, um deren Grieichzeitigkeit im Bewusstsein es sich handelt,
       nicht auch  experimentell  in  einem  einzigen Momente  dargeboten
       und dann wieder entzogen werden, wie beim Tachistoskop   die  opti-
       schen Wahrnehmungselemente.     Das  simultane Vergleichsobject ist
       vielmehr  ein  indirectes  Ergebniss  der  einzelnen Augenblicke  des
       Wahrnehmungsprocesses unter Zuhilfenahme     der  absichtlichen Zu-
       sammenfassung des successiv Dargebotenen.   Wir sind also für den
       Nachweis der Gleichzeitigkeit ganz auf die reflective Analyse ange-
       wiesen.  Diese ergibt nun allerdings, dass Gefühle von der bei jenem
       Einwände angenommenen Art das Anhören der Vergleichsreihe be-
       gleiten.  Aber diese Gefühle erscheinen nicht als sogenannte grund-
       lose, rein stimmungsmäßige Gemüthsbewegungen der Spannung und
       Lösung, bezw. Befriedigung oder Missbefriedigung neben den neuen
       Empfindungen, so dass wir erst aus ihnen auf gewisse frühere Wahr-
       nehmungen schließen würden. Wir sind uns vielmehr dabei genau
       bewusst, dass wir die Gefühle nur im Hinblick auf bestimmte that-
       sächlich vorgestellte Merkmale eines größeren Ganzen erleben. Aller-
       dings müssen also die Dispositionen vom ersten Erlebniss her  fort-
       wirken, damit überhaupt diese eindeutig bestimmte Vorstellung der
       ersten Reihe erhalten bleibt und nicht etwa durch andere Elemente
       verfälscht wird, und wurde diese Bedeutung der gedächtnissmäßigen
       Sicherheit der Erinnerung mitsammt ihren Schranken vorhin bereits
       näher besprochen.   Indessen  ist zu der Wirksamkeit der Associa-
       tionen, wie  sie thatsächlich gegeben  ist, jederzeit nothwendig, dass
       man sich überhaupt innerlich auf diese bestimmten früheren Erleb-
       nisse beziehen will, gleichgültig, ob die Gründe hierfür in  einer un-
       willkürlichen bewussten Nachdauer des Vergangenen oder in einem
       besonderen Vorsatz bestehen.
          Man könnte ja eben so wohl diese zweite Eeihe ohne jegliche be-
       wusste Bezugnahme auf die früheren Erlebnisse anhören, wodurch die
       rein dispositionelle Wirkungsfähigkeit des ersten Erlebnisses natürlich
       nicht aufgehoben, sondern nur eben nicht bewusst würde.  Es würden
       dann auch die entsprechenden Erwartungen und sonstigen Gefühle
       vollständig ausbleiben, ebenso wie ja auch innerhalb ein und der
       nämlichen Reihe     die ganze Zusammenfassung    nicht  einfach  als
       ein Fortwirken von Gedächtnissspuren der ersten Tactvorstellung bis
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