Page 588 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
P. 588

Wilhelm Wirth.
     576
      die Führung behält.  So wird  also auch  schließlich der gesammte
     Umfang mitsammt der weniger klaren Eegionen u. s. gl. U. ein ziem-
     lich constantes Maß des Gesammtumfangs erfüllen und eine constante
     Klarheitsvertheilung erreichen, nachdem die vor der Exposition be-
     liebig zerstreute und anderweitig beschäftigte Aufmerksamkeit immer
     mehr auf den Complex gesammelt wurde.       Diese Concentration ist
     aber auch unerlässlich.  Denn dieser dem Reizcomplex entstammende
     Wahrnehmungszustand bildet ja für uns sozusagen den >Maßstab«
     oder  die »Wage«   des Bewusstseinsumfanges.  Wenn aber   ein  der
     Verflüchtigung unterworfener Körper möglichst vollständig gemessen
     werden  soll, dürfen nicht bloß so viel oder so wenig Theile berück-
      sichtigt werden,  als  in  einer  beliebig kurzen Zeit erreicht werden
     können.   Vor der Messung, welche dem Erfolge     der momentanen
     Einwirkung des Vergleichsobjekts und seiner deductiven Verwerthung
      entspricht, muss vielmehr eine sorgfältige »Sammlung«  aller erreich-
     baren Theile auf die Wage erfolgen.   Da die Darbietung   des  ent-
      scheidenden Vergleichsobjectes eine tachistoskopisch momentane
     ist, so wird ja trotz aller Dauer des ersten Complexes doch immer nur
      der momentane     Gi-esammtbestand , wie  er  durch das Vergleichs-
      object repräsentirt wird, imVergleichsurtheil zur Geltung kommen,
     und nur dieses Vergleichsbewusstsein bildet die Grundlage, von der
      aus man späterhin wieder den simultanen Gesammtbestand rückläufig
      erschließt, so dass keine falsche Erweiterung des gemessenen Gegen-
      standes unterlaufen kann.  Denn nach unserem allgemeinsten Princip
     wird in diesem Urtheil nur die augenblickliche Bewusstseinslage zur
      Geltung kommen.   Es ist also auch keine Verfälschung unseres
     Resultates, wenn während der Dauer des ersten Objectes die Aufmerk-
      samkeit zunächst beliebig hin- und herwandern durfte und durch diese
     Durchforschung des ganzen Complexes immer festere Associationen
     zwischen den einzelnen Elementen knüpfen konnte. Abgesehen von der
     in ihrem Werthe schon hinreichend betonten Concentration auf den
      experimentellen Complex können alle diese Gedächtnissdispositionen
     höchstens noch dazu dienen, eine möglichst gleichmäßige Beherr-
      schung des ganzen Bestandes zu bewirken, was bei gleichmäßiger Ein-
      haltung in allen Versuchen nur die Constanz der Versuchsbedingungen
      erhöht; die Dauer kann aber niemals die thatsächliche Enge des actuellen
      Bewusstseins überhaupt aufheben.  Allerdings ist ja, wie schon früher
   583   584   585   586   587   588   589   590   591   592   593