Page 590 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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      Einübung und ihre Erhaltung, lässt sich hingegen natürlich auf  die
      Thatsache der maximalen Uebung verweisen, welche auf allen Ge-
      bieten nach einer entsprechenden Zeit als relativ constanter Zustand
      sich nachweisen  lässt.  So wird  also  auch  bei längerem Anblick
      einer beliebigen Zusammenstellung einfacher, individuell charakteri-
      sirter Figuren  in  größerer Anzahl, bezw. beim Versuch einer be-
      stimmten möglichst gleichmäßigen Yertheilung der Aufmerksamkeit
      auf dieselben, nach einer bestimmten Häufigkeit dieses Verfahrens ein
      und dem nämlichen Complex gegenüber ein Grad der Vertrautheit
      in dieser Beherrschung eintreten, der nicht mehr viel vermehrt werden
      kann. Man durchmustert etwa zunächst discursiv unter Beibehaltung
      der Fixationslage des Auges die einzelnen Figuren und ihre gegen-
      seitigen Beziehungen, kehrt dann immer wieder zum einmal ausge-
      machten inneren Fixationspunkt zurück und verwerthet die discursiv
      gewonnenen Erfahrungen zur Ausgleichung der Aufmerksamkeit auf
      die  verschiedenen  Seiten  des Complexes,  die  ohne  systematische
      Durchmusterung planloser hervor- und zurücktreten würden, so dass
      im Augenblick des   Vergleiches kein constanter und  vergleichbarer
      Zustand bestünde. Nach einer gewissen Häufigkeit der Wiederholung
      dieser Betrachtung eines und des nämlichen, jeweils bestimmte Zeit
      dargebotenen Complexes kann man unter diesen Umständen jederzeit
      eine gleichmäßige Klarheitsvertheilung hinreichende Zeit festhalten,
      in welcher man für   die Qualität der  verschiedenen Regionen  des
      Complexes   sozusagen  simultan  mit  verschiedener  Sicherheit und
      Präcision einstehen zu können glaubt. Auch hier muss ein Fixations-
      punkt der Aufmerksamkeit festgehalten werden, der am besten wieder
      in den äußeren Blickpunkt verlegt und möglichst in der Mitte des
      dargebotenen Complexes gewählt wird.
          Diese Lage des Bewusstseins darf natürlich nicht mit dem  dis-
      positionellen Zustand des Gedächtnisses verwechselt werden, wonach
      man den ganzen Complex auswendig wiederzugeben vermag.      Dieses
      Gedächtniss ist vielmehr nur ein an sich für die Versuche unnöthiger
      Nebenerfolg der häufigen "Wiederholung und Durchmusterung      des
      Complexes und gewissermaßen ein Anzeichen dafür, dass jene maxi-
      male Einübung für   die  actuelle Betrachtung inzwischen  jedenfalls
      erreicht worden  ist.  Zunächst ist ja eigentlich nur die gleichmäßig
       abgestufte und im Mittel möglichst erhöhte Klarheit des gesammten
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