Page 592 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
P. 592

580                       Wilhelm Wirth.

      Dass man nach einer bestimmten Häufigkeit der Wiederholungen des
      Auswendigzulernenden gewöhnlich ebenfalls seinen Zweck vollständig
      erreicht hat, beruht nur darauf, dass  es eben nur auf einen ganz
      bestimmten Grad der Treue der Reproduction ankommt.     Es würde
      eine viel größere Zeit erfordern und, wie erwähnt,  in den dauernd
      unklaren Regionen überhaupt unmöglich    sein, den ganzen Wahr-
      nehmungsbestand, wie   er  sich von  einer inneren Fixation aus dar-
      stellt, mit aller beim Vergleich in Betracht kommenden Genauigkeit
      auswendig zu lernen, wenngleich man bei fortgesetzter Uebung hierin
      natürlich immer weiter fortschreiten würde.
         Das Maximum der Uebung, das hier durch die längere Betrach-
      tung erreicht werden soll, bezieht sich aber eben nur auf die klare,
      günstigste Vertheilung der Aufmerksamkeit auf den ganzen Wahr-
      nehmungsbestand   bei  gleichzeitiger Einwirkung  des Beizcomplexes.
      Wegen dieser fortgesetzten freiwilligen Abhängigkeit des ganzen Be-
      standes vom Experiment ist also der Leistung zur Herstellung eines
      Vergleichsobjectes  ein  viel  niedrigeres Ziel  gesteckt.  Dieses wird
      aber dafür auch entsprechend bald in voller Höhe erreicht und kann
      in fortgesetzten Versuchen gar nicht mehr überschritten werden, vor
      allem deshalb, weil eben der Umfang des Bewusstseins selbst es nicht
      mehr besser hergibt.  Die ganze Einübung bezieht sich ja sozusagen
      nur auf diese simultane EinfüUung   eines bestimmten experimentell
      dargebotenen Bestandes in diesen Umfang.   Es  lässt sich auch gar
      nicht sogleich sagen, welches Maß von Einübung für das Auswendig-
      wissen diesem Maximum des Ueberblickes entspricht, weil eben beides
      viel zu verschiedenartige Leistungen sind, insofern dieses eine selbstän-
      dige Leistung ist, jenes aber von der äußeren Wahrnehmung getragen
      wird. Man wird also höchstens sagen können, dass jedenfalls nach er-
      reichtem Maximum des Ueberblickes die andere Disposition für das Aus-
      wendigwissen inzwischen immer weiter geübt wird. Jenes Maximum der
      Verarbeitung, das nach einer längeren Betrachtung ein und des näm-
      lichen Complexes hinsichtlich der Vertheilung unseres Bewusstseins auf
      denselben  erreicht  wird,  ist  zugleich  ein Stadium,  das überhaupt
      immer nur durch eine continuirlich andauernde Actualität der Dis-
      position, dafür aber jeweils auch in nicht zu langer Zeit, und nach
      einer gewissen Einübung immer schneller, erreicht werden kann.  Es
      gehört zu der vollkommensten Wirksamkeit der Dispositionen, wie  sie.
   587   588   589   590   591   592   593   594   595   596   597