Page 597 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.
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      ausgiebiger Schlüsse^^^uf  die  zu Grunde liegende Klarheitsverthei-
      lung.
         Relativ einfach entscheidet sich wohl die Frage nach der vortheil-
      haftesten zeitlichen Zuordnung   der beiden Yergleichsobjecte zu
      einander.  Aus dem ganzen Wesen des Vergleichsprocesses, der eine
      besondere Wechselwirkung der beiden Vorstellungscomplexe darstellt,
      ergibt sich  offenbar eine umso größere Feinheit und Sicherheit des
      Yergleichsurtheiles  , je unmittelbarer sich  die beiden Complexe an-
                        natürlich immer noch
      einanderschließen ,                      unter der Voraussetzung
      einer Unterscheidbarkeit  der  beiden zu beurtheilenden Objecte im
      Granzen, um welche man sich aber viel weniger zu sorgen braucht,
      da  sie immer durch  die Eigenthümhchkeiten des tachistoskopischen
      Vorganges hinreichend  garantirt wird.  Es droht ja bei den Ver-
      gleichen eigentlich immer nur  jene  entgegengesetzte Gefahr, dass
      durch eine zu große Zwischenzeit der zunächst gebotene Gesammt-
      complex an seinem Einfluss auf das Vergleichsurtheil einbüße.  Der
      Verlust an  einzelnen Elementen und deren   gegenseitigen Bezieh-
      ungen, sowie die logische Sicherheit des allenfalls üebriggebliebenen
      nimmt bekanntlich gerade in den allerersten Augenblicken nach dem
     Aufhören des äußeren Reizes so rapide ab, dass schon geringe Bruch-
      theile einer Secunde  der Bestimmtheit des Vergleichsurtheiles und
      dem Umfange, auf welchem    sich dasselbe überhaupt noch beziehen
      kann, bedeutenden Abbruch thun.  i)


         1) Damit  soll  natürlich keineswegs behauptet werden,  dass für das Ver-
     gleichsurtheil bei entsprechender Zwischenzeit zwischen den Objeeten so wenig
      vom ersten Complex  zur Geltung komme,  als  er an Empfindungsfrische
     verloren habe.  Diese eigenthümliche Lebhaftigkeit und Frische ist von allen ein-
     zelnen Qualitäten des Inhalts wohl zu unterscheiden. Zu einer hinreichend sicheren
     Vergleichung der beiden Objecte mit möglichst geringer Unterschiedsschwelle ist es
     niemals nothwendig, dass die Elemente des ersten Objects mit der zu vergleichenden
      Qualität beim Wahrnehmen des zweiten noch in voller Lebhaftigkeit vorhanden sind.
     Der Vergleich setzt ja immer voraus, dass man sich von dem ersten Object weg dem
     anderen zuwendet, ohne Rücksicht darauf, ob das erste noch mit Empfindungs-
     frische nebenbei im Bewusstsein bleibt. Es wird dann mindestens  fiir den Augen-
                              Daher wird eine Gleichzeitigkeit im Bewusstsein
     blick weniger beachtet  sein.
     höchstens eine raschere Folge des Hin- und Hergehens ohne besondere technische
     Vorrichtungen, wie es die Schnelligkeit der Aufmerksamkeitswanderung nur immer
     hergibt, ermöglichen.  Diese schnelle Folge wird aber eben auch bei successiver
                                erste Object nebenbei mit Empfindungsfnsche
     Darbietung,  also ohne dass das
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