Page 593 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.
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höchstens von abnoi-men Zuständen u. s. w. abgesehen, insbesondere
überhaupt niemals rein dispositionell so vorbereitet sein kann, dass
sie mit einem Male beim Auftreten des Wahraehmungscomplexes
gegeben wäre. Auch kann, wie gesagt, die mittlere Klarheit des Ge-
sammtcomplexes bei einer formal auf dergleichen eingeübten Person
nach einer einmaligen längeren Betrachtung ebenfalls jenes Maximum
erreichen, während noch so häufige und lange dauernde frühere Be-
trachtungen im AugenbHck des kritischen Vergleiches völHg nutzlos
sind, wenn die absichthche Beachtung des Complexes augenbhcldich
versagt und eine anderweitige Zutheilung und Zerstreuung des Be-
wusstseins erfolgt. Es wird also auch der aller sicherste Besitz der
Gedächtnissdisposition, den ganzen Bestand discursiv richtig beschrei-
ben oder sich allmählich ein Gesammtbild desselben zurückrufen zu
können, uns der Aufgabe nicht überheben, die erneute Zutheilung
und Vertheilung unseres vorher anderweitig erfüllten Bewusstseins
durch eine entsprechend lange neue Wahrnehmung des nämlichen
Complexes vorzunehmen, sobald der Umfang wiederum in diesem
Complex gemessen werden soll. Alles Auswendiglernen des ersten
Complexes könnte also weder schaden noch nützen. Es kommt viel-
mehr nur darauf an, die für die Umfangsbestimmung wichtigen
Factoren, welche im Bisherigen discutirt wurden, möglichst exact zu
wählen, also sich nicht auf das Merken für später, sondern ganz auf
die augenblickhche objective Beherrschung des Thatbestandes zu
verlegen und für den Moment des Vergleiches eine mögUchst günstige
Zutheilung des gesammten ümfangs bei voller Concentration zu
benützen (vergl. 1, 1). Außer einer rein deductiven Ableitung des
Vortheiles, d. h. der dauernden und wiederholten Betrachtung des
Complexes vor der Vergleichung, sind aber natürHch die constanten
Resultate der entsprechenden Versuche selbst, wie sie weiter unten
zur Sprache kommen werden, die beste Bestätigung. Die einfachsten
Urcomplexe beheiTScht man natürhch am schnellsten.
4) Discussion der verschiedenen Möglichkeiten zur all-
mählichen Beherrschung des Urcomplexes. — Continuirliche
und discontinuirliche tachistoskopische Darbietung. Die
günstigsten Bedingungen für die allmähliche Entstehung einer maxi-
malen Beherrschung des ersten Complexes sind natürUch dann vor-