Page 633 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.
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     vertheilung jeweils nach einer anderen Richtung analysirt wird,
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     Erinnerung an   alles übrige gleichgültig ist, so muss man sich doch
     sicher bewusst  sein,  ob das  klare Hervortreten  einer Stelle nach
     ihrer Variation im Vergleichsobject, wie  es  allein  als annehmbarer
     Maßstab anerkannt wurde,   wirklich einen bewussten Vergleich mit
     einer entsprechenden, nur anders ausgefüllten Stelle des Urcomplexes
     bedeutet.  Die Variation des Vergleichscomplexes  darf  also nicht
     etwa allein für  sich,  infolge einer innerhalb des Bewusstseins nicht
     weiter zurückführbaren Veränderung    der  Klarheitsvertheilung  be-
      sonders klar hervortreten, ohne das an dieser »Stelle« vorher über-
      haupt etwas bewußt gewesen bezw. bis zum Auftreten der Variation
      gemerkt worden wäre.   Kurz,  es muss wirkhch das charakteri-
      stische Bewusstsein     eines Vergleichsurtheiles über      die
      kritische Stelle Vorhandensein, welches nach dem früher Gesagten
      allein wirklich einer continuirhchen Bewusstheit des variirten Momentes
      in irgend welchen Klarheitsgraden  entspricht.  Bei jeder beliebigen
      Ausfüllung des gesammten Bewusstseins muss ja natürhch eine be-
      stimmte Intensität eines neuen, augenblicklich überhaupt noch
      nicht in demselben vertretenen Reizes, auch        bei  einer nur
      momentanen Darbietung,   hinreichen, um  in  einer ähnUchen Ver-
      schiebung  des KlarheitsreHef s  ,  wie  bei jenen Versuchen,  die neue
      Wahrnehmung klar hervortreten zu lassen.   Der in solcher Weise
      ganz analog abgeleitete Schwellenwerth für die klare Actualität einer
      vorher völlig unbewussten Disposition besäße aber dann natürlich
      einen  völlig anderen Sinn wie die oben  als  relatives Klarheitsmaß
      vorgeschlagenen Unterschiedsschwellen.  Eine Verwechslung kann also
      nur durch den bewussten Unterschied verhindert werden, dass in den
      früheren Fällen eine mehr oder weniger bestimmte und somit beide-
      male bewusste  Stelle  der  beiden Complexe verglichen wurde,  in
      diesem Falle  aber  überhaupt  keine Vergleichung  stattfindet  oder
      höchstens die Complexe im Ganzen als verschieden erscheinen.
         In einem ausgedehnten Urcomplexe sind aber freilich  viele Ele-
      mente, deren Stelle später bei ihrer Variation klar hervortritt, relativ
      sehr wenig beachtet, und es ist vor darauf bezügUchen Experimenten
      nicht a priori zu sagen, ob ganz aUgemein auch  die geringsten Be-
      wusstseinsgrade in dem von äußeren Reizen abhängigen Urcomplexe
      da^u ausreichen werden, dass man bei hinreichender Variation  die
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