Page 636 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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524                       Wilhelm Wirth.

      denen Richtungen, wenn      z. B. nach dem Dasein eines unklaren
      Verschmelzungsproductes der unvermeidHchen Nebengeräusche, welche
      bei unserem optischen Urcomplexe   augenblicklich völlig unbeachtet
      sein sollen, das eine Mal ein momentanes neues Geräusch von hinreichend
      verschiedener Intensität eben als etwas Neues beachtet wird, das
      andere Mal ein solches von hinreichend verschiedener Höhenlage. Wie
      die einzelnen Fälle nach dieser Hinsicht zu beurtheilen sind, müsste
      natürlich jedesmal erst durch sorgfältige Analyse der vorher bereits
      bewussten  Inhalte und  der  Klarheitsvertheilung  in  dieser Region
      festgestellt werden.
         Nach den früheren Ausführungen können ja auch für den näm-
      lichen concreten Inhalt verschiedene abstracte Merkmale oder Seiten
      besonders beachtet sein, welche zugleich nach der hier überall voraus-
      gesetzten Abhängigkeit von Schwellenwerth und Klarheitsgrad ver-
      schieden »gerichtete« Unterschiedsschwellen herabsetzen.  Andererseits
      sind natürlich auch alle Variationen des Urcomplexes, falls sie wirk-
      lich unwissentHch erfolgen, derartig >neue Reize <, nur eben in ge-
      ringerer Abweichung vom bisherigen Bewusstseinsbestand, und weisen
      mit ihrer Beachtung ebenso sehr auf die psycho-physiologischen Be-
      dingungen zu seelischem Geschehen überhaupt hin, wie    sie sowohl
      für verschiedene Qualitäten und Variationsrichtungen, als auch für die
      verschiedenen Beobachter andere "Werthe herbeiführen können. Außer-
      dem ist aber wohl kaum noch besonders zuzugestehen, dass die weitere
      theoretische Discussion  der Verwerthung  einer experimentellen
      Bestimmung solcher Reizschwellen für ein augenblicklich wirklich
      völlig unbeachtetes disparates Gebiet nicht viel Werth hat,  weil  die
      practische Ausführung geradezu   unmöglich  erscheint.  Denn  eine
      solche unbeachtete Stellung  der Nebenvorstellungen, wie  sie einen
      kräftig hervortretenden Reiz von dieser Art als relativ neu erscheinen
      lässt, wäre offenbar höchstens dann zu erreichen, wenn der Beobachter
      auch nicht ein einziges Mal völlig disparate Schwellen zu beurtheilen
      hatte.  Sonst wird zu dem   optischen Urcomplexe,  in welchem der
      Umfang des Bewusstseins in der Hauptsache eigentlich angelegt sein
      sollte, sehr bald mindestens eine neue Vorstellung mit hinzutreten,
      die zwar vielleicht sehr abstract und schwankend,  dafür aber doch
      relativ beachtet und am Gesammtumfang mehr oder weniger stark
      betheiligt  ist,  d. h. eben die unausbleibliche Erwartung disparater
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