Page 637 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Zur Theorie des Bewusstseinsumfanges und seiner Messung.
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Reize. Es ist also einfach eine neue Klarheitsvertheilung vorhanden,
wobei die mit den neuen Reizen gemessenen Bewusstseinsgrade auch
nicht viel geringer sind.
Damit ist also geradezu ein Versuchsfehler
gegeben,
insofern man eigentHch unter Ausschluss uncontroUrbarer,
aber doch thatsächlich vorhandener Ausfüllungen des Bewusstseins
bei dem nämlichen Urcomplex bleiben soUi).
5. Capitel.
Charakterisirung der früheren Messungen der Vorstellangs-
concurrenz durch Schwellenbestimmungen.
Durch diese Zurückführung der ganzen Frage des Bewusstseinsum-
fanges auf eine specielle Erweiterung der allgemeinen psychophysischen
Methoden ist natürlich nur die schon in Cap. 3 mehrmals genannte
phychologische Deutung des Web er 'sehen Gesetzes in ihren wesent-
lichen Prinpien für unsere Frage systematisch verwerthet. Diese
Deutung setzt bekanntlich in der Wun dt 'sehen Formulirung eine
directe Proportionalität der Empfindungsintensität zur Reizintensität
voraus und lässt nun die klare und sichere Erkennung der Em-
pfindungsdifferenzen, (die natürlich einen besonderen psychischen That-
bestand ausmacht), von der Enge des Aufmerksamkeitsumfanges und
der hierdurch bedingten Hemmung je nach der Intensität des
objectiven Gegenstandes der Beachtung abhängig werden 2), so dass
für größere Intensitäten größere Differenzen zu einer Unterschieds-
1) Solche Versuche mit >neuen< Reizen sind also nur dann sinnvoll , wenn
es nicht daravif ankommt, eine bestimmte Ausfüllung des Bewusstseins überhaupt,
sondern nur die augenblickliche Hauptbeschäftigung constant zu erhalten,
also eine bestimmte Concentration auf ein Gebiet unter wechselnder, womöglich
in ihrem Anspruch an den Gesammtumfang zunehmender Ausfüllung
des übrigen Bewusstseins. Dies sind somit die sog. » Ablenkungsversuche c, wofür
diese Methode auch von Kraepelin (Psychologische Arbeiten I, 1, S. Iff.: Der
psychologische Versuch in der Psychiatrie) vorgeschlagen worden ist, aber eben-
falls schon unter der Erwähmmg jener auch dann noch nicht belanglosen Schwierig-
keiten. Auch der feinste Tact des Experimentators wird entweder bei wirklicher
Erhaltung der Unbefangenheit des Beobachters zuwenig einschlägige Mittheilungen
erhalten, oder bei Maßregeln gegen letzteren Fehler einfach die Unbefangenheit
zerstören. (Vgl. Stern, Ueber Psychologie der individuellen Differenzen. Leipzig
1900 S 80 ff
Vgl. dort auch die
2) Wundt, Physiol. Psycho!. 4. Aufl. 1893, I. S. 398 f.
genaueren historischen und litterarischen Angaben.
Wundt, Philos. Studien. 3X 40