Page 638 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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626                       Wilhelm Wirth.

      leistung nothwendig sind.  Dass jene Formulirung der Abhängigkeit
      der TJ.-E. von der Enge der Aufmerksamkeit  a. a. 0. in Zusammen-
      hang mit  einer physiologischen Erklärungsmöglichkeit gebracht  ist,
      darf nicht übersehen lassen, dass am gleichen Orte ausdrücklich ihre
      unmittelbare Erschließung aus der Bewusstseinsthatsache der Enge
      der Apperception betont wird.  In ähnlicher Weise, wenn auch ohne
      die nämliche Formulirung der Bewusstseinsthatsachen im einzelnen,
      ist von G. E. Müller    die gegenseitige Hemmung der Erregungen
      zu  einer psychologischen  Deutung  verwendet worden  i),  und  vor
      allem auch von Th. Lipps, der besonders die Analogie zu der ex-
      tensiven Concurrenz   ausführlicher  behandelt.  Auch von anderen
      ist eine Verwerthung der psychischen Concurrenz   in  diesem Sinne
      bereits mehr im einzelnen verwerthet worden, ohne dass ich an dieser
      Stelle  auf  die  reiche  Litteratur  hierüber näher  eingehen könnte
      Außerdem wurde aber nun auch bereits über diese mehr deductive
      Erklärung  des Web er 'sehen Gesetzes,  soweit  es durch  die Ver-
      gleichung von zwei oder mehreren Objecten gewonnen wird, zu einer
      Art von Probe auf   diese Auffassung hinausgegangen, indem man
      Reizschwellen und Unterschiedsschwellen           unter   gleich-
      zeitig eingeführten Hemmungs- und Störungsbedingungen
      abzuleiten versuchte. Auch hier sollte die Erhöhung ein Maß für
      die Herabsetzung der Aufmerksamkeit auf das Verglichene im Gegen-
      satze zu der ungestörten Vergleichung und vollen Aufmerksamkeit
      liefern.  Die erste wenigstens von den mir bekannten Arbeiten nach
      dieser  Richtung  ist  die  Untersuchung  von Friedrich Boas
                                                                     2),
      dem  u. a. vor allem damals  bereits  die  bezüglichen Ausführungen
      G. E. Müll er 's bekannt waren.  Auch er schließt zunächst aus all-
      gemeinen Erfahrungen, dass  »die Unterschiedsschwellen je nach dem
      Grade der Aufmerksamkeit wechseln«,    sucht  überall die psychische
      Mechanik   in größerem Umfange zu berücksichtigen und    will  dies
      durch einwandfreie Versuche bestätigen.  Die nach mehrwöchentlicher
      Vorübung über zwei Tage ausgedehnten Versuche enthielten Augen-
      maßvergleichungen der Längen von zwei Strichen zu 64 und 61,8 mm



          1) Zur Grundlegung der Psychophysik, 1878, S. 364 &.
          2) Fr. Boas, Ueber eine neue Tomd des Gesetzes der Unterschiedsschwelle.
      Pflüger's Archiv für Physiologie, Bd. 26.  1881.  S. 493—500.
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