Page 646 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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634 Wilhelm Wirth.
seits gilt natürlich auch für eine unwissentliche Variation der
Stelle, soweit dieselbe nicht tachistoskopisch erfolgt, der eben
gerügte Nachtheil, dass dann überhaupt keine einfache Concurrenz-
lage zur Geltung kommen wird. Es ergibt sich vielmehr ein fort-
während wanderndes Suchen, das schließlich die ganze Untersuchung
zu einem schwer qualificirbaren Mittelding zwischen wissentlicher und
unwissentlicher Schwellenbestimmung werden lässt.
Es würde zu weit vom eigentlichen Thema ablenken, wenn ich
auch auf die reiche Literatur über die Frage nach dem Einflüsse der
Klarheit auf die Intensität der Empfindung eingehen wollte i), da sich
doch eine derartige Schätzung der Intensitäten zur Bestimmung der
verschiedenen Bewusstseinsgrade innerhalb eines größeren Complexes
kaum verwerthen ließe, selbst wenn die Sache theoretisch bereits
klarer läge. Freilich ist der Nachweis, ebenso wie die Widerlegung
der in Frage stehenden Thatsachen auch immer erst davon abhängig,
ob thatsächlich ein entsprechend geringerer Klarheitsgrad erreicht
worden ist. In den bisherigen Versuchen wurde dies aber nun ebenso
wie bei den in diesem Capitel behandelten Schwellenbestimmungen
immer nur durch gleichzeitige Störungen versucht, wobei die Ver-
suchsperson während der unmittelbaren Wahrnehmung genau wusste,
welche Intensität zu beurtheilen war. Alles, was hier gegen die An-
nahme der Herabminderung der thatsächlichen Klarheit durch solche
Störungen unter solchen Bedingungen gesagt wurde, lässt sich also
auch hier wieder vorbringen. Natürlich ist bei Beurtheilung einer
einzelnen Intensität während der Wahrnehmung selbst die Wissent-
lichkeit niemals auszuschließen. Man müsste daher, wo es sich z. B.
um optische Intensitäten handelt, wieder einen größeren Complex ein-
führen, wobei der Beobachter gewärtig sein muss, dass er über jedes
beliebige der Elemente hinterdrein Auskunft zu geben hat, und zwar
wiederum mit tachistoskopischer Darbietung, damit ebenfalls nicht
verschiedene Klarheitsvertheilungen sich gegenseitig compensiren
können. Eine exacte Bestimmung über die Abhängigkeit der schein-
baren Intensität von dem Klarheitsgrade setzt aber dann offenbar
1) Vgl. auch 0. Külpe, Ueber den Einfluss der Aufmerksamkeit auf die
Empfindungsintensität. Bericht des IIl. Congresses für Psychologie. München
1897. S. 180 f.