Page 646 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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       seits  gilt  natürlich auch  für  eine unwissentliche Variation  der
       Stelle, soweit dieselbe nicht tachistoskopisch erfolgt, der eben
       gerügte Nachtheil, dass dann überhaupt keine einfache Concurrenz-
       lage zur Geltung kommen wird.    Es ergibt sich vielmehr ein fort-
       während wanderndes Suchen, das schließlich die ganze Untersuchung
       zu einem schwer qualificirbaren Mittelding zwischen wissentlicher und
       unwissentlicher Schwellenbestimmung werden lässt.
          Es würde zu weit vom    eigentlichen Thema ablenken, wenn ich
       auch auf die reiche Literatur über die Frage nach dem Einflüsse der
       Klarheit auf die Intensität der Empfindung eingehen wollte  i),  da sich
       doch eine derartige Schätzung der Intensitäten zur Bestimmung der
       verschiedenen Bewusstseinsgrade innerhalb eines größeren Complexes
       kaum verwerthen   ließe,  selbst wenn  die Sache  theoretisch  bereits
       klarer läge.  Freilich ist der Nachweis, ebenso wie die Widerlegung
       der in Frage stehenden Thatsachen auch immer erst davon abhängig,
       ob  thatsächlich  ein entsprechend  geringerer Klarheitsgrad  erreicht
       worden  ist.  In den bisherigen Versuchen wurde dies aber nun ebenso
       wie bei den in diesem Capitel behandelten Schwellenbestimmungen
       immer nur durch gleichzeitige Störungen versucht, wobei die Ver-
       suchsperson während der unmittelbaren Wahrnehmung genau wusste,
       welche Intensität zu beurtheilen war.  Alles, was hier gegen die An-
       nahme der Herabminderung der thatsächlichen Klarheit durch solche
       Störungen unter solchen Bedingungen gesagt wurde,   lässt sich also
       auch  hier wieder vorbringen.  Natürlich  ist bei Beurtheilung einer
       einzelnen Intensität während der Wahrnehmung selbst die Wissent-
       lichkeit niemals auszuschließen.  Man müsste daher, wo es sich  z. B.
       um optische Intensitäten handelt, wieder einen größeren Complex ein-
       führen, wobei der Beobachter gewärtig sein muss, dass er über jedes
       beliebige der Elemente hinterdrein Auskunft zu geben hat, und zwar
       wiederum mit   tachistoskopischer Darbietung, damit  ebenfalls nicht
       verschiedene  Klarheitsvertheilungen  sich  gegenseitig  compensiren
       können.  Eine exacte Bestimmung über die Abhängigkeit der schein-
       baren Intensität von dem Klarheitsgrade  setzt aber dann offenbar



           1) Vgl. auch 0. Külpe, Ueber den Einfluss der Aufmerksamkeit auf die
       Empfindungsintensität.  Bericht des IIl. Congresses für Psychologie.  München
       1897. S. 180 f.
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