Page 701 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Taine und die Cultui^eschichte.
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genösse redet. >Wemi die großen Redner zu schreiben bereit sind,
so sind sie die gewaltigsten unter den Schriftstellern«. . . . Alle
Sätze Macaulay's haben einen begeisterten Accent; man fühlt, dass
er die Geister beherrschen will. »Die wahre Beredsamkeit ist die-
jenige, die in solcher Weise das ßaisonnement durch die Erregung
vollendet, die durch die Einheit der Leidenschaft die Einheit der Er-
eignisse reproducirt, die den Gang und die Verkettung der That-
sachen durch den Gang und die Verkettung der Ideen wiedergibt«.
(E. L. m. S. 332.)
Macaulay hat das lebhafteste Bewusstsein für die Ursachen, und
die Ursachen sind es, welche die Thatsachen verbinden. >Eine Samm-
lung von Geschichten ist noch keine Geschichte« (E. L. EI. S. 353).
Was Macaulay schrieb, war Geschichte.
In den Origines befinden sich auch einige Ausführungen Taine 's
über die Auffassung, die Napoleon vom Beruf des Historikers hatte.
Sie ergänzen die Charakteristiken, die Taine von den Aufgaben des
Geschichtschreibers gibt, aufs glücklichste.
Taine gibt sie ganz ohne Commentar. Napoleon hielt die Fest-
stellung der Geschichte Frankreichs für eine Sache der Regierung:
es dünkte ihm nothwendig, sie zu beeinflussen und zu lenken, sie ge-
radezu zu machen. »Ich kenne keine wichtigere Arbeit«, sagte er,
>vor Allem heißt es sich des Geistes versichern, in welchem Ge-
schichte geschrieben werden soll. Die Urtheile des Historikers über
die Vergangenheit sollen wohl berechnet sein« (Or. 6 S. 202). Im Um-
kreis der Throne denkt man heute noch nicht viel anders.
Taine hat es mannigfach geschildert, inwiefern Dichter und
Schiiftsteller als Cultui-historiker verfahren. Es ist hier unmöglich,
ihm in diese Details zu folgen. Dagegen darf seine Auffassung des
historischen Romans nicht unbeachtet bleiben. Er war ein schroffer
Gegner desselben. Walter Scott bot ihm den Anlass, seine Meinung
kundzugeben. Der historische Roman ist >fast nur Decoration und
Inscenirung; die Gefühle sind künstlich; es sind Opemgefühle; die
Dichter sind nur geschickte Leute, Verfertiger von Texten und
bunter Leinwand; sie haben Talent und kein Genie; sie entnehmen
ihre Ideen nicht ihrem Herzen, sondern ihrem Kopfe« . . . (E. L. IH.
S. 50), sie kennen die vergangenen Zeiten und die fernen Länder nur
Alterthumsforscher und als Reisende. Taine vertritt ilmen
als
Wundt, Philos. Studien. XX. 44