Page 32 - Grete Minde
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»Gute Nacht, Valtin«, sagte Grete ruhig und beinah gleichgültig. Als dieser aber ging, ohne
            sich umzusehen, rief sie noch einmal seinen Namen. Und er wandte sich wieder und lief
            auf sie zu. Und sie umarmten sich und küßten sich. »Vergiß, Valtin, was ich gesagt hab.
            Ich weiß, daß du dich nicht fürchtest. Denn du liebst mich. Und die sich lieben, die fürchten
            sich nicht. Und nun noch eines. Komm in einer halben Stund in den Garten, in euren, und
            wart auf mich. Mir ist so wunderlich, und ich muß dich noch sehen. Denn sieh, ich weiß es,
            es geschieht etwas; ich fühl es ganz deutlich hier.« Und dabei legte sie die Hand aufs
            Herz und zitterte.

            Und er versprach es, und sie trennten sich.







            Dreizehntes Kapitel

                                                         Flucht
            Die Pforte war nur angelehnt, und schon vom Garten aus ließ sich's erkennen, daß Trud
            inzwischen ins Haus zurückgekehrt sein müsse. Die Fenstervorhänge hingen noch herab,
            und das rasch wechselnde Schattenspiel zeigte deutlich, daß ein Licht dahinter hin und
            her getragen wurde. Grete stieg nun die Stufen hinauf, die von dem Garten in den Hof
            führten, drückte das Gitter ins Schloß und fühlte sich, über Flur und Treppe hin, bis an das
            Hinterzimmer des oberen Stocks. Die Türe stand noch offen, wohl der Schwüle halber, und
            Grete   sah   hinein. Was sie   sah,   war   nur   das   Erwartete.   Die   Wiegendecke   lag
            zurückgeschlagen,   und   Trud,   in   allem   Putz   und   Staat,   den   sie   bei   der   Festlichkeit
            getragen, mühte sich in gebückter Stellung um das Kind, das still dalag und nur dann und
            wann  in Krämpfen zusammenzuckte. Ihre  hohe Krause  war zerdrückt, ihr Haar halb
            herabgefallen; ihren silbernen Hakengürtel aber, der ihr beim Aufnehmen und Niederlegen
            des Kindes hinderlich gewesen sein mochte, hatte sie von sich getan und über das
            Fußbrettchen der Wiege gehängt. Und jetzt richtete sie sich auf und sah Greten vor sich
            stehen.

            »Ei, Grete. Schon da!« sagte sie bitter, aber ersichtlich noch mit ihrer inneren Erregung
            kämpfend. »Wo warst du?«
            »Fort.«

            »Fort? Und ich hatt es dir doch verboten.«
            »Verboten?«

            »Ja! Und nun sieh das Kind. Ein Wunder Gottes, wenn es uns am Leben bleibt. Und wenn
            es stirbt, so bist du schuld.«

            »Das darfst du nicht sagen, Trud«, antwortete Grete ruhig, während es um ihren Mund
            zuckte. »Schilt mich. Schilt mich, daß ich ging, das darfst du, das magst du tun. Aber du
            darfst mich nicht schelten um des Kindes willen. An dem Kind ist nichts versäumt. Ich ließ
            es bei Reginen, und Regine, was sag ich, ist dreißig Jahr im Haus. Und war Kindermuhme
            bei Gerdt, und dann war sie's bei mir und hat mich großgezogen.«
            »Ja, das hat sie. Aber wozu? Du weißt es, und ich weiß es auch. Und die Stadt wird es
            bald genug erfahren... Armes Ding du! Aber's ist Erbschaft.«
            »Sage nicht das, Trud. Nichts von ihr. Ich will davon nicht hören.«

            »Aber du sollst es. Undankbare Kreatur!«
            Grete lachte.
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